„Ich war eine Atombombe“

Skandal in US-amerikanischer Atomwaffenfabrik: Erst wurden Arbeiter jahrelang verstrahlt, jetzt soll radioaktiver Schrott recycelt und zu Gebrauchsgegenständen verarbeitet werden  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Jahrelang verstrahlt – in Paducah im US-Bundesstaat Kentucky will man es immer noch nicht richtig glauben. Dabei passt die Enthüllung, dass die Beschäftigten beim größten Arbeitgeber der Region, der Urananreicherungsanlage, lange Zeit ohne ihr Wissen mit hoch radioaktivem Material gearbeitet haben, nur zu gut in eine Reihe von Erkenntnissen über katastrophale Sicherheitsstandards in US-amerikanischen Atomwaffenfabriken. Nach einem Bericht der Washington Post vom Sonntag hat nun endlich auch das Washingtoner Energieministerium Ermittlungen eingeleitet.

In der Anlage waren über Jahrzehnte tausende von Angestellten und Arbeitern radioaktiven und plutoniumhaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen. „Teilweise war die Staubentwicklung so dicht, dass man wie im Nebel wandelte“, berichtet ein ehemaliger Arbeiter. „Um die Mittagszeit mussten wir grünen Uranstaub von unseren Sandwiches bürsten“, erinnert sich Al Puckett, ein pensionierter Betriebsrat. Doch die Vorgesetzten hätten gesagt, „das Zeug sei harmlos“ und ihre Stullen „demonstrativ damit gewürzt“.

Am schlimmsten soll der Arbeitsschutz in den 50er, 60er und 70er Jahren vernachlässigt worden sein, als das Werk von Union Carbide betrieben wurde, in den 80er und 90er Jahren übernahmen die Rüstungskonzerne Lockheed Martin und Martin Marietta. Die derzeitige Betreibergesellschaft ist die U.S. Enrichment Corporation, die sich für die Altlasten nicht verantwortlich fühlt.

Energieminister Bill Richardson hat sämtliche Betreiber ins Ministerium bestellt sowie die Überprüfung aller Akten und eine unabhängige Untersuchung versprochen. Dabei muss er womöglich auch gegen eigene Leute ermitteln. Denn das frühere Atomenergieministerium wusste spätestens seit Anfang der 90er Jahre von der Gefahr – das Uran wurde im Auftrag der Regierungsstelle aus abgebrannten Brennstäben und ausgemusterten Atombomben zurückgewonnen und angereichert. Niemand hatte es jedoch für nötig gehalten, Alarm zu geben oder die betroffenen Arbeiter zu unterrichten. Ein ehemaliger Sicherheitsingenieur hat gemeinsam mit an Krebs erkrankten Kollegen Klage eingereicht.

Die Experimente in Paducah sind allerdings längst noch nicht vorbei. „Das Gelände ist mit rostenden Fässern und Containern übersät“, berichtete Alice Slater vom Global Resource Action Center for the Environment (GRACE) der taz. Der schwachradioaktive Schrott – ein sieben Stockwerke hoher und ein Kilometer langer Berg – soll, so hat das Energieministerium angordnet, eingeschmolzen und anderen Metallen beigemengt werden. 2,2 Milliarden US-Dollar wollen die Universitäten von Kentucky und Ohio investieren, um Verfahren zu entwickeln, wie sie die radioaktiven Altmetalle recyceln können. Schlagkräftiges Argument: Dabei würden Arbeitsplätze entstehen.

„Demnächst können wir also damit rechnen, dass Autos, Kinderwagen, Werkzeugen und Haushaltsgegenständen Reste des radioaktiven Schrotts beigemengt wird – nicht nur aus Paducah“, so Slater. „Und wie sollen wir glauben, dass die Gegenstände völlig sicher sind – vor allem angesichts dessen, was wir jetzt über die Zustände in Paducah wissen?“

Das Hauptproblem bei Schadenersatzklagen gegen die Atomindustrie sei, so Marc Epstein von der Bürgerinitiative Three Mile Island, dass weder die Regierung noch die Privatindustrie den Gesundheitszustand ihrer Belegschaften – auch nach deren Ausscheiden – überwacht hätten. Das sei schon bei den Klagen gegen die Betreiber des seit 1979 havarierten Reaktors in Pennsylvania so gewesen. „Hinzu kommt, dass in dieser Industrie oft sogenannte nukleare Nomaden arbeiten.“ Leute, die heute schwer aufzufinden sind oder deren Gesundheitszustand nur schwer mit einem ganz bestimmten Arbeitsplatz in Verbindung gebracht werden kann.

Epstein und Slater sind sich einig, dass die Probleme nicht mit der Abschaltung oder Schließung einer Anlage enden. Slater zählt 16 militärische Nuklearanlagen auf, in denen die Zustände ähnlich katastrophal sind: „Im Idaho National Engineering & Environmental Laboratory, wo die Navy ihre ausgemusterten Reaktoren deponiert, lagert strahlender Schrott in offenen Gruben, die auf einer Unterwasserader und dazu noch auf einer Erdbebenfalte sitzen. Und in der Pantex Munitionsfabrik bei Amarillo, Texas, liegt er auf dem Oglala Aquifer, einem fossilen Wasserreservoir aus dem die High Plains von Colorado bis nach Texas ihr Wasser beziehen.“