Kritische Kannibalen im Kaffesatz

■ Transzendentalistischer Slasher-Slapstick und ironischer Polit-Punk: Das Gore-Spektakel „Ravenous“ weidet amerikanische Western-Mythen gründlich von Innen aus

Menschenfresser sind Stammgäste in zwielichtigen Videotheken. Unter den Ladentischen finden sich zahllose Gore-Spektakel, die das tabuisierte Sujet Kannibalismus genüsslich ausweiden. Wenn jedoch Twentieth-Century-Fox mit Antonia Birds Ravenous-Friss Oder Stirb eine A-Produktion über marodierende man-eaters in den Verleih nimmt, und diese darüberhinaus mit Charakterdarstellung besetzt ist, dann machen selbst wertkonservative Abendland-Hüter mobil: Schlock für den Feuilleton.

Dabei findet der Film seinen Einstieg über Motive des Westerns. Im Jahre 1847 – die Vereinigten Staaten befinden sich im Krieg mit Mexic – wird der U.S.-Soldat John Boyd (Guy Pearce) in ein abgelegenes Fort strafversetzt. Die Enklave in der verschneiten Sierra Nevada wird vom bewährten Horror-Personal bevölkert. Ein väterlicher Vorgesetzter (Jeffrey Jones), ein bigotter Priester (Jeremy Davis) und ein Säufer repräsentieren die verwahrloste Intelligenzia. Hinzu kommen ein verfrühter Hippie (David Arquette), ein protofaschistischer Über-Soldat mit dem schönen telling name Reich und zwei Native Americans, die selbstverständlich das drohende Unheil aus dem Kaffeesatz lesen können. Das kommt in Gestalt von Colqhoun (Robert Carlyle), einem schottischen Pionier und Gottesmann, der seine Hostien gerne mit abgehangenen Mitmenschen belegt.

Was von der Anlage her droht, eine bleischwere Moritat über menschliche Abgründe zu werden, erweist sich zum Glück als eine ideologische Allegorie, die den Mythos der frontier mit Hilfe fröhlicher Slasher-Slapsticks demontiert: Die Einverleibung eines Landes – die USA hatten gerade Texas und Kalifornien vereinnahmt – durch das Militär, den größten fleischverarbeitenden Betrieb überhaupt. Robert Carlyle darf transzendentalistische Binsenweisheiten, schmutzigen Sozial-Darwinismus und delikate Küchengeheimnisse zum Besten geben – für ein gelungenes Irish Stew muß halt ein echter Ire in den Topf –, während Guy Pearce sich vergeblich um protestantische Enthaltsamkeit bemüht. Mit diesen Antagonisten illustrieren Antonia Bird und Kameramann Anthony B. Richmond ein groteskes Abendmahl.

Der tongue in cheek-Gestus der Inszenierung schafft dabei die notwendige Distanz, um diesen mit Verweisen gesättigten Polit-Punk zu goutieren. Auch die Musik von Peter Greenaways Hauskomponisten Michael Nyman, der für diesen Film mit Damon Albarn kollaborierte, setzt entscheidende Kontrapunkte, ohne die Ravenous allzu leicht in eine erzählerische Einbahnstraße geraten könnte. Keine selbsgefällige Exploitation, kein seriöses Drama – die bewußte Inkonsistenz sperrt sich gegen konventionelle Marketingstrategien. Das mag dem Verleih Bauchschmerzen bereiten, aber für den Zuschauer wird es ein Festmahl ohne Reue sein. David Kleingers

heute, 22.45 Uhr, Cinemaxx

Ansonsten auf dem Fantasy Filmfest: 16 Uhr: The Twilight Zone 2/Office Killers; 18.15 Uhr: Das Tal der Schatten/Angel of the Night; 20.30 Uhr: The Lake/The Stormriders;22.45 Uhr Possessed (jeweils Cinemaxx);23 Uhr: Trance (Fama)