Von Koblenz bis Honkong

Chiptickets werden auch in anderen Städten getestet und zum Teil bereits regulär genutzt. Die BVG tauschte sich mit rund 50 anderen Kommunen aus  ■   Von Ole Schulz

„Vorbilder haben wir keine“, betont Stefan Kissinger, und er sollte es wissen. Schließlich ist Kissinger beim tick.et-Projekt zuständig für die internationalen Kontakte. Was aber nicht heißen soll, dass sich die Berliner nicht im Ausland umgeschaut hätten – denn Verkehrsbetriebe auf der ganzen Welt arbeiten schon seit Jahren mit dem elektronischen Ticketing. Die Vorteile lägen auf der Hand, so Kissinger, und so genannte berührungsfreie Chiptickets hätten auch gegenüber den weit verbreiteten Kartonkarten mit Magnetstreifen einen entscheidenden Vorteil: Während letztere über störungsanfällige, mechanische Gummibänder transportiert werden, während der Fahrgast eine Schleuse – zum Beispiel ein Drehkreuz – passiert, bis er am Ende die Karte wieder entnehmen kann, müsse man die Chiptickets nur an einem Lesegerät „vorbeiwischen“. Zudem könne der Fahrpreis endlich allein nach der Entfernung, die man zurücklegt, bemessen werden: Wer weniger fährt, zahlt auch weniger.

Bereits bestehende Ticketing-Systeme einfach kopieren könne und wolle die Berliner Projektgruppe nicht, sagt Kissinger, aber dennoch hat man in den letzten zehn Jahren in über 50 Städten im In- und Ausland Gespräche geführt, um aus den dort gemachten Erfahrungen eine maßgeschneiderte Lösung für Berlin zu entwickeln. Bereits 1990 wurde die englische Kleinstadt Milton Keynes besucht, wo die Thatcher-Regierung den europaweit ersten Feldversuch startete; es folgten Abstecher u. a. nach Helsinki und Spanien, Hongkong und Washington D. C., aber auch der Westen Deutschlands wurde bereist: Denn in Marburg, Oldenburg, Koblenz und Bremen wird inzwischen kleinräumig und auf einzelne Fahrausweisarten beschränkt mit Chiptickets gearbeitet. Intensiver Kontakt besteht vor allem aber zum Verkehrsverbund Rhein-Sieg, der zur Zeit auf der Straßenbahnlinie zwischen Bonn und Köln ebenfalls einen Test zum elektronischen Ticketing durchführt.

Die Erfahrungen anderer, gerade ausländischer Verkehrsbetriebe seien zwar sehr lehrreich, aber die „gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen zu unterschiedlich, als dass sich die Systeme eins zu eins übertragen ließen“, so Kissinger. „Es gibt keine Schubladenlösungen.“ In Hongkong zum Beispiel, der einzigen Metropole weltweit, in der mit dem Berliner Pilotversuch vergleichbare kontaktlose elektronische Chiptickets bereits umfassend eingesetzt werden, seien Arbeitskräfte so billig, dass man es sich leisten könne, zur Überwachung an den Terminals mehrere Angestellte zu postieren. Das Nahverkehrsnetz in Hongkong sei aber auch erheblich kleiner und lange nicht so alt wie in Berlin, wo die Grundlagen für den öffentlichen Personennahverkehr schon um die Jahrhundertwende gelegt wurden. „Wir müssen die Auflagen des Denkmalschutzes beachten und daher jeden Bahnhof einzeln planen.“ Und das Thema Kundenfreundlichkeit, das Kissinger für äußerst wichtig hält, spiele etwa in einer autoritär regierten Stadt wie Singapur keinerlei Rolle. In einem Punkt seien die Kollegen im Fernen Osten aber weit voraus: Die Verkehrsbetriebe in Hongkong arbeiteten äußerst profitabel, so Kissinger, weil über den Bahnhöfen riesige Shopping-Center und Bürohäuser errichtet wurden. „Mit den Immobilien verdienen die sich dumm und dämlich.“

Die Gründe, die Verkehrsbetriebe dazu bewegen, auf die Chiptechnologie umzusteigen, scheinen aber zumindest in Deutschland überall die gleichen zu sein: Die Fahrgäste würden der komplizierten Tarifstruktur und dem Service im öffentlichen Nahverkehr „unverändert schlechte Noten“ geben, „wie Kundenzufriedenheits-Befragungen auf nationaler und regionaler Ebene zeigen“, sagt Horst Krämer vom Verkehrsverbund Rhein-Sieg. Und die betriebsinterne Statistik müsse sich vielfach mit „Groblösungen“ zufrieden geben: „So versucht man immer noch, über das manuelle Zählen von Fahrgästen an Stichtagen Auskunft über Entwicklung und Umsatzstärke immer mehr vernetzter Verkehrsströme zu erhalten.“ Daher erhofft sich Krämer vom elektronischen Ticketing einen „Quantensprung“ – nicht nur im Kartenvertrieb, sondern auch im Service und in der Abrechnung.