Kommentar: Ernüchternde Jahresbilanz
■ Arbeitslosigkeit bleibt auf hohem Niveau
In der Möchtegern-Dienstleistungsmetropole Berlin boomt seit Jahren vor allem eines: die Arbeitslosigkeit. Auch der Arbeitsmarktbericht 1998/99, den Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler gestern präsentierte, zeichnet ein ernüchterndes Bild – trotz des zur Schau gestellten Optimismus.
Berlin steckt nach wie vor in einer Rezession – das Minuswachstum im Jahr 1998 zeigt, dass die Segnungen der Dienstleistungsgesellschaft wohl noch ein wenig auf sich warten lassen müssen. Ein Vergleich: Seit 1990 sind 270.000 industrielle Arbeitsplätze weggefallen, in der Dienstleistungsbranche aber nur 100.000 entstanden.
Kein Wunder also, dass die Arbeislosigkeit auch im Jahr 1998 nochmals gestiegen ist. Fakt ist auch: Dass alles nicht noch schlimmer gekommen ist, liegt vor allem an der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das heißt: Ohne Gelder aus dem Berliner, dem Bonner und dem Brüsseler Haushalt wäre die relative Stabilisierung der Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht eingetreten, die seit einem Jahr zu verzeichnen ist.
Schöttler möchte die aktive Arbeitsmarktpolitik auf dem bisherigen – vergleichsweise hohen – Niveau beibehalten. Das ist nicht nur konkret geboten, sondern auch prinzipiell begrüßenswert. Denn erstens zeigt eine solche Aussage, dass Arbeitsmarktpolitik sich nicht nach Wahlterminen richten darf – wie es im vergangenen Jahr der Fall war, als die konservative Regierung im Vorfeld der Bundestagswahl in Torschlusspanik geriet. Zweitens impliziert Schöttlers Vorschlag aber auch, dass die Politik nicht alles dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen darf – schließlich geht es um Menschen und ihre Lebensbedingungen. Obwohl es als modern gilt, den Markt – auch den Arbeitsmarkt – immer weiter zu deregulieren.
Aber: Ausweiten will die Arbeitssenatorin ihre Maßnahmen nicht. Statt mehr Geld zur Verfügung zu stellen, will sie die Fördermaßnahmen effektivieren und so mit den gleichen Mitteln mehr erreichen. Das ist eine schöne Idee – mehr aber auch nicht. Denn dass damit die Lage spürbar verbessert wird, darf angesichts der mehr als 250.000 Arbeitslosen in der Stadt getrost bezweifelt werden.
Richard Rother
Bericht Seite 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen