Bei Italiens Geheimdiensten soll aufgeräumt werden

■ Hunderttausende Dossiers über Politiker, Banker, Künstler und Intellektuelle will die Regierung in den Reisswolf stecken. Doch Kritiker zweifeln an der Effektivität dieser Aktion

Rom (taz) – Mit einer entschlossenen Geste will Italiens Regierung unter dem Linksdemokraten Massimo D'Alema ein deutliches Zeichen für einen Neuanfang der Geheimdienste setzen: Die hunderttausenden meist illegal angelegten Dossiers über Politiker und politische Parteien sollen, soweit sie nicht Gerichtsverfahren oder der „Abwehr einer auch jetzt noch bestehenden inneren und äußeren Gefahr“ dienen, vernichtet werden.

Eine eigenes Amt wird dabei entscheiden, was erhalten bleibt und was in den Reisswolf kommt beziehungsweise gelöscht wird. „Die Aktion“, erklärte der für die Geheimdienste zuständige stellvertretende Ministerpräsident Piersanti Mattarella, „ist die Voraussetzung für das Funktionieren der bereits beschlossenen und bis Ende des Jahres abzuschließenden Reform der Geheimdienste.“

Italiens Schlapphüte hatten schon kurz nach Kriegsende eine ungeheure Sammelwut über alles und jedes entwickelt, was insbesondere kommunistische oder linker Neigungen verdächtige Politiker, Beamte, Journalisten, Künstler und Intellektuelle betraf. Dabei machten sich auch vor höchsten Persönlichkeiten keinen Halt. So fanden Staatsanwälte während meist aus ganz anderen Gründen laufender Verfahren deutliche Spuren, dass es Akten über sämtliche Regierungschefs, Minister und sogar alle Staatspräsidenten seit 1948 gab. Oft ließ sich später erst rekonstruieren, dass angeblich als Ergebnis von Presse-Recherchen verbreitete Enthüllungen über Politiker nichts anderes waren als von den Geheimen lancierte Informationen. Oft wurden dabei auch Fälschungen fabriziert, die bei entsprechender Gelegenheit diverse Karrieren zerstörten. Berühmt ist der Stopp eines Aspiranten auf das Amt des Regierungschefs: Die Dossier-Fabrikanten spielten der Presse ein Foto zu, auf dem der als bigott bekannte Politiker mitten auf der Sündenmeile der Via Veneto mit einer Frau flanierte, die nicht die seine war.

Kenner der Materie zweifeln freilich daran, ob es der Regierung gelingen wird, die oft zur Erpressung oder Desavouierung unliebsamer Personen benutzten Dossiers vollständig aus der Welt zu schaffen. Zu oft schon war der Versuch unternommen worden, doch mit schöner Regelmäßigkeit tauchten sie dann in den Händen übler Geschäftemacher oder Intriganten wieder auf. Der bekannteste Fall war der der Loge „Propaganda 2“, die Anfang der 80er Jahre aufflog: Damals fanden sich bei der Hausdurchsuchung in der Villa des Logenchefs Licio Gelli Dokumente und Fälschungen über alle wichtigen Regierungsmitglieder – allesamt aus Dossiers, die angeblich bei einer „Säuberung“ und Umorganisation der Geheimdienste Mitte der 70er Jahre vernichtet worden waren. Gelli hatte seine politische Macht just aufgrund des Erpressungspotentials dieser Papiere gegründet und so am Ende in seiner Loge an die tausend der höchsten Entscheidungsträger Italiens vereint, darunter zwei Minister und drei Staatssekretäre, alle Geheimdienstchefs und die Führungsspitzen von Militär und Polizei, die größten Bankiers, einflussreiche Medienherrscher und Journalisten (darunter Silvio Berlusconi).

Die Parteien der Mitte-links-Koalition sind mit dem Schritt der Regierung ausnahmslos einverstanden, ebenso Berlusconis Forza Italia. Dagegen protestieren die rechte Nationale Allianz und die Lega Nord. Die Nationalisten vermuten, so ihr Sprecher Maurizio Gasparri, „dass mit der Vernichtungsaktion auch viele unwiderbringliche Dokumente historischer Tragweite zerstört werden“. Die separatistische Lega, über deren Mitglieder es ganze Berge von Akten gibt, möchte, „dass diese Dossiers vor ihrer Vernichtung den Betroffenen zugänglich gemacht werden, auch um mögliche Schadensersatzforderungen bei illegalen Vorgängen einleiten zu können“. Werner Raith