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Die Luxusauszubildende

Vor allem die großen Fußballvereine verlassen sich längst nicht mehr auf den Einkauf erwachsener Spieler. Klubeigene Scouts gucken in aller Welt, um jugendliche Talente für die eigene Kaderschmiede zu gewinnen. Einer wie Landon Donovan beispielsweise, hochgelobter Stürmer aus dem Westen der USA. Jetzt versucht er in Leverkusen sein Glück, in eigener Sache und zum Wohle des deutschen Spitzenklubs. Zahlen und Hintergründe  ■  Von Oliver Lück

Das Unwetter lag schwarz und schwer über dem Fußballstadion von Columbus im Bundesstaat Georgia. Längst hatte es seine gewaltigen Schleusen geöffnet. Es lief die 87. Spielminute, als der Kapitän der amerikanischen U 17-Auswahl den letzten Treffer – das 4:0 im WM-Qualifikationspiel gegen El Salvador – erzielte. Voller Jubel zerrte er sich das durchnässte Trikot vom Körper und enthüllte die Botschaft auf seinem T-Shirt: FOR YOU GRANDPA. A WISH. Den Blick in den regnerischen Himmel gerichtet, gedachte er auf seine Weise seines einen Monat zuvor verstorbenen Großvaters. „Er hatte nie die Chance, mich spielen zu sehen“, erklärte Landon Donovan anschließend, „dieses Tor war für ihn.“ Sagte es und verlor für einen kurzen Moment sein Lächeln.

Rund neuntausend Kilometer Luftlinie fern östlich liegt Leverkusen – eine der weniger imposanten deutschen Städte. Das Kreuz der Bayer AG thront über fast allen Dächern und scheint Einfluss auf alles und jeden zu nehmen. Insbesondere der größte ansässige Fußballverein, Bayer 04 Leverkusen, kann sich auf den Konzern verlassen. Während sich andere Bundesligisten regelmäßig hoch verschulden, braucht sich die Kickerabteilung der Bayerwerke keine Kopfschmerzen zu machen – sie hängt beharrlich am Tropf des Milliardenunternehmens. Die Chemie zwischen Sport und Wirtschaft stimmt am Niederrhein.

Damit das so bleibt, fordert der Sponsor zumindest einen der werbewirksamen Fernsehauftritte in den europäischen Pokalwettbewerben. Der Gewinn des Uefapokals (1988) sowie zweier Vizemeisterschaften (1997 und 1999) ließen bislang keine Zweifel an der geldlichen Zuwendung aufkommen. Doch die Zukunft des Vereins – sprich: junge talentierte Spieler – muss vorbereitet werden.

Landon Donovan lebt deshalb seit knapp einem Monat inmitten seiner ersten Arbeitswelt. Die Familie mit den Eltern und seiner Zwillingsschwester haben das heimische Redland – eine Kleinstadt irgendwo im kalifornischen Nirgendwo, 150 Kilometer vor den Toren Los Angeles' – nicht verlassen. Der Siebzehnjährige hingegen wechselte Anfang Juli vom Collegeteam Califorina Heat ablösefrei zu Bayer 04 Leverkusen und unterschrieb dort einen Sechsjahresvertrag. Nun wohnt er in einem Appartement unweit der BayArena. Womit er seinem Ziel ein großes Stück nähergekommen ist. „Seit seinem fünften Lebensjahr will er Fußballprofi werden“, macht Mutter Donna deutlich. Lange hätten sie gemeinsam gegrübelt, was das Beste sei, erzählt sie, und auch heute noch bereite ihr der Gedanke, dass der Filius alleine in einem fremden Land leben wird, etwas Sorge. Dennoch unterstützt die Mama seinen Entschluss. Denn: „Er wird es schaffen.“

Was vor fünf Jahren noch unvorstellbar war, hat sich zum wegweisenden Erfolgsrezept ausgedehnt. Minderjährige Nachwuchskicker bekommen langjährige und oftmals millionendotierte Verträge unter die Nase gehalten. Den Spürsinn für ein einträgliches Angebot verschaffen sie sich genauso wie ihre Vorbilder durch eigens engagierte Berater.

Denn immer frühzeitiger werfen die Profivereine ihre Angeln nach potentiellen Talenten aus. Diese sind, verglichen mit erfahrenen Spielern, kostengünstiger und können – sollte der Karrieresprung gelingen – um ein Vielfaches gewinnbringend an andere Fußballvereine preisgegeben werden. Kürzlich versetzte ein Elfjähriger halb Italien in Aufruhr, als sein Wechsel vom neapolitanischen Elternhaus zum AC Turin die Runde machte. Vincenzino Sarno – kleiner als Maradona, halb so breit, aber angeblich doppelt so gut – sollte für siebzigtausend Mark Vorkaufsrecht in der D-Jugend des Serie-A-Aufsteigers Ball spielen. Inzwischen hat er den industriellen Norden wieder verlassen und ist zu seinen Liebsten zurückgekehrt – das Heimweh hatte ihn so übel heimgesucht, dass nichts übrig blieb von den wohl kalkulierten Profiplänen. Landon Donovan befürchtet Ähnliches: „Obwohl ich durch die vielen Reisen mit der Nationalmannschaft schon oft von zu Hause weg war, wird es eine große Probe für mich. Ich werde meine Familie vermissen.“

Die ganz Großen der Branche interessieren solche Gefühle wenig – denn der Rubel muss rollen: Insbesondere der englische Premier Leauge-Verein Arsenal London bleibt als Vorreiter derartigen Transfergebarens seinem vor drei Jahren eingeschlagenen Weg eisern treu. Damals erwarb man den siebzehnjährigen Nicolas Anelka vom französischen Erstligisten Paris St. Germain und versprach ihm vierhunderttausend Mark im Jahr. Diesen Sommer wurden drei weitere Jugendnationalspieler durch horrende Gehälter an die Themse gelockt. Der fünfzehnjährige Jérémie Aliadière, Zögling des Fußballeliteinternats Clairefontaine bei Paris, unterschrieb einen Siebenjahresvertrag und darf sich über 760.000 Mark freuen – pro Jahr. Der gleichaltrige Jermaine Pennant kam für Schwind elerregende 5,5 Millionen Mark vom englischen Provinzverein Notts County zu den „Gunners“. Nicht dementierte Gerüchte sprechen in seinem Fall von 360.000 Mark Jahresgage. Und auch Moritz Volz, sechzehnjähriges Ausnahmetalent vom FC Schalke 04, konnte einem kapitalen Köder der Londoner nicht widerstehen. Das Gelsenkirchener Balltalent setzte seinen Namen unter einen Fünfjahresvertrag, der ihm rund 2,2 Millionen Mark einbringen soll. „Sich entscheiden zu müssen war allerdings die Hölle“, beschreibt der jüngste deutsche Auslandsprofi aller Zeiten seine monatelangen Skrupel. Als er sich endlich entschieden hatte, wurde er nicht lockerer. Es blieb nicht nur bei abgekauten Fingernägeln: Vor einem Länderspiel war der B-Jugendliche am Ende seiner Nerven und brach zusammen.

Spätestens die zehn Millionen Mark schwere Verpflichtung des siebzehnjährigen Roque Santa Cruz aus Paraguay – der FC Bayern München wird ihm 1,8 Millionen Mark pro Spielzeit überweisen – hat kürzlich erkennen lassen, dass die Tarifexplosion auch die deutsche Eliteliga getroffen hat. „Wer sich dieser Entwicklung nicht anpasst, steht bald im Abseits“, meint Michael Reschke, sportlicher Leiter der Bayer-Nachwuchsabteilung. Donovan hingegen sei eine Ausnahme. „Mit deutlich weniger als fünftausend Mark im Monat“, versichert Reschke, „gehört er bei uns zu den Spielern mit etwas höherem Ausbildungsgeld.“

Ansonsten bleiben Gehälter für Bayer-Jugendliche überschaubar: A-Junioren-Spieler des jüngeren Jahrganges erhalten monatlich dreihundert, die des älteren fünfhundert Mark. „Man muss mit Zahlungen in diesem schwierigen Alter behutsam umgehen“, sagt Reschke.

Paul McGuiness, Jugendkoordinator des Champions-League-Siegers Manchester United (ManU), teilt diese Ansicht: „Das viele Geld verdirbt die Persönlichkeit der Kids.“ Aber: „Gerade Arsenals radikale Transferpolitik ist in den klaren Richtlinien des englischen Fußballverbandes zu begründen.“ Um den Vereinen gleiche Chancen einzuräumen, ist die Sichtung auf der britischen Insel lediglich in der unmittelbaren Umgebung der Klubs erlaubt. „Schon deshalb müssen wir uns massiv in anderen Ländern umsehen, um konkurrenzfähig zu bleiben“, erläutert McGuiness.

Das sehen inzwischen sämtliche europäische Spitzenvereine so und beschäftigen professionelle Häscher, die den Erdball nach der kostbaren Ware abgrasen. Nebenbuhler sind unentwegt gefürchtet. ManU lässt sich seine Jugendarbeit 4,8 Millionen Mark pro Saison kosten; insgesamt 44 Scouts sichten Spielermaterial in aller Welt. Auch ihnen war der kalifornische Teenager mit dem ausgeprägten Offensivdrang aufgefallen: „Ein Tore schießendes Tier“ oder „Das Phänomen“ titelte die US-Presse im vorigen Jahr, als Landon Donovan mit 35 Toren und 25 Vorlagen in 41 Spielen für die U 17-Nationalelf über die Landesgrenzen hinaus auf sich aufmerksam machte.

Ein netter dicker Mann aus Deutschland machte als Erster im Hause der Eltern seine Aufwartung. Die feinsten Adressen des europäischen Fußballs, darunter ManU und der FC Liverpool, folgten. Obwohl dem High-School-Absolventen lukrativere Angebote vorlagen, erhielt der deutsche Werksverein den Zuschlag. Bayer-Manager Rainer Calmund wäre mit seiner rheinischen Frohnatur regelrecht auf der gleichen Wellenlänge geschwommen, glaubt Michael Reschke heute. Ferner hätte die Anwesenheit von Frankie Hejduk, dem 25jährigen US-Nationalspieler, der seit einer Saison im Leverkusener Jersey am Ball ist, einen „guten Einfluss auf die Entscheidung des Jungen“ gehabt. Der Entschluss, in Leverkusen anzuheuern, hat Donovan bislang noch nicht eingeschüchert. Im Gegenteil hat das Getöse um sein Engagement dazu beigetragen, ihn in die U 23-Olympiaauswahl zu berufen.

In Spanien freilich wird noch härter um begabten Kickernachwuchs gebuhlt. Der FC Barcelona spannte Aruna Babangiba, einen sechzehnjährigen Nigerianer, gratis bei Ajax Amsterdam aus und legte ohne Wimpernzucken eine neue Verkaufssumme von zehn Millionen Mark fest. Zweitligist UD Levante ging noch weiter, als man für Vicente Rodriguez Guillen mit 350 Millionen Mark die zweithöchste Ablöseklausel in der spanischen Fußballgeschichte fixierte. Real Madrid hat an einer Verpflichtung des Siebzehnjährigen Interesse bekundet. Finanziell spielen Spaniens Vereine sowieso in einer höheren Liga: Barca mit 28 und Real mit 24 Millionen Mark investieren weltweit die üppigsten Beträge in ihren sportlichen Unterbau.

Das Sprungbrett ins Haifischbecken der besten Ligen Europas ist für viele talentierte Fußballsternchen allerdings deutlich höher. Auch Donovan wird sich zunächst im Bayers Regionalligateam bewähren müssen. Dort aber pflegt man einen anderen, reichlich körperbetonten Fußball zu spielen – woran schon viele Schönspieler gescheitert sind. Doch nicht nur sportliche Kontraste empfangen einen nichtdeutschen Jugendspieler. Das arbeitswütige Naturell der Deutschen widerspricht dem beständigen „Keep on smiling“-Image der Amerikaner. Auch Frankie Hejduk gelang es bisher nicht, seine häufig verlorenen Zweikämpfe mit einem Grinsen wettzumachen. Meist fand er sich auf der Ersatzbank wieder.

Die Aussichten sind allerdings verlockend, hat sich ein Spieler erst einmal durch die Hierarchien durchgekämpft. Sollte der Siebzehnjährige in spätestens sechs Jahren im Trikot der Profis auflaufen, ist er Millionär – so will es die Branche, so wollen es seine Eltern und so will auch er es. „Dann haben wir alle alles richtig gemacht und können uns gemeinsam über einen neuen Lizenzspieler freuen“, bringt es Michael Reschke auf den Punkt. Dass der Amerikaner sich dann zu einem echten Profi entwickelt hat, möchte ihm freilich niemand wünschen. Denn gerade der humorlosen Bundesliga würde ein unbeschwertes Lächeln gut tun.

Oliver Lück, 25, freier Autor aus Hamburg, verdiente sich durch sein erstes Tor ein Eis

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