: Vater links, Sohn rechts
■ Statt mit ständiger Konfrontation reagiert Herr Schalte mit Verständnis für die politische Extremhaltung von Dragan. Ein Gespräch mit Vater und Sohn
Herr Schalte· Ihr 17jähriger Sohn ist rechts, Sie sind ein fast 50jähriger bekennender Altlinker. Sie wohnen zusammen und sitzen hier ganz einträglich zusammen. Funktioniert das?
Schalte Klar funktioniert das.
Dragan Wir kommen gut miteinander aus.
Schalte: Die Sozialisierung war wohl schlicht eine andere.
Wie sind Sie denn aufgewachsen?
Schalte: Mein Vater war Offizier. Mit Linken hatte er natürlich nichts am Hut, er steckte in der CDU-Ecke. „Deutschtum“ spielte eine große Rolle. Andere Nationalitäten wurden schnell als „faul“ oder „nicht so fleißig“ abgetan. Nach meiner Maschinenschlosserlehre fing ich an, in Bremen Maschinenbau zu studieren. In die linke Szene bin ich über die Studentenschaft gekommen. Im Elternhaus hatte ich fast nur rechtes Gedankengut mitbekommen – da war die andere Seite erstmal einfach spannend.
Mitte der 70er Jahre habe ich für den Kommunistischen Studentenbund (KSB), das war die Studentenorganisation des KBW, für den AStA kandidiert. Das hat mich begeistert. Von Straßenbahnkampf bis Plakatekleben habe ich dann alles mitgenommen, was es damals so gab.
Haben Sie auch an illegalen Aktionen teilgenommen?
Schalte: Damals war ja Vieles illegal, zum Beispiel die Plakataktionen. Einmal wurden wir erwischt, als wir Plakate gegen die Bundesregierung klebten – die Polizei wollte daraufhin mein Auto konfiszieren.
Später habe ich mein Studium abgebrochen und habe im Krankenhaus eine Pfleger-Ausbildung gemacht. In meinem Ausbildungskurs waren drei, vier Leute mit kommunistischer Vergangenheit. Im Krankenhaus haben wir dann verdeckt eine KBW-Zelle gegründet, Zellenleiter war der heutige Chef der Heinich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks. Die Zeit der Berufsverbote war noch nicht so ganz vorbei. Nach den Straßenbahnunruhen waren wir erstmal eingebuchtet worden. Da wurde unsere politische Einstellung im Krankenhaus bekannt. Einer von uns wurde deshalb nach der Ausbildung nicht übernommen. Insgesamt bin ich in dieser Zeit zweimal in einer Zelle gelandet.
Dragan, auch Du reibst Dich am Staat, allerdings aus einer rechten Perspektive. Wie oft warst Du schon in einer Zelle?
Dragan: Einmal wurde ich mit einer ganzen Gruppe im Vorfeld eines Fußballspiels im Weserstadion eingebuchtet. Nach dem Spiel wurden wir freigelassen und ich hatte eine Anzeige am Hals wegen Landfriedensbruch. Das Verfahren wurde später eingestellt. Dann war da noch was mit mehreren Ausländern, da musste ich eine Zeugenaussage machen.
Wie bist Du in die rechte Szene eingestiegen?
Dragan: Mein Leben war immer normal, falls Sie Erziehungsfehler vermuten. Ich bin normal aufgewachsen. Mit „links“ oder „rechts“ hatte ich lange nichts am Hut. Ich hing auch mal eine Weile mit Ausländern ab. Aber da musste ich mich in der Gruppe so weit anpassen, dass ich das tun musste, was mir gesagt wurde. Ich konnte nicht mal meine Meinung loswerden. So ungefähr vor zwei Jahren hat das nicht mehr gestimmt, da kam ich nicht mehr klar damit. Ich konnte mich als Deutscher hier in Blumenthal nicht mehr wohlfühlen. Irgendwann hat's klick gemacht, und da bin ich in die rechte Szene gegangen.
Wie weit gehst Du bei Deinen politischen Aktivitäten?
Dragan: Ich gehe auf NPD-Demonstrationen, ohne mich zur Partei zu bekennen. Ich würde auch niemals eintreten. Bei Plakataktionen mache ich mit, auch wenn sie nicht genehmigt sind. Irgendetwas stimmt nicht in diesem Staat, und deswegen gehe ich auf die Straße.
Ich fange jetzt eine Ausbildung als Elektriker an. Freunde, die ich von früher habe, wollen zwar nichts mit meiner Ideologie zu tun haben, aber sie akzeptieren, wie ich bin. Einige Freundschaften sind deswegen auch auseinandergegangen.
Wart Ihr dabei, als die NPD durch Blumenthal marschierte?
Dragan: Ich war nicht dabei.
Schalte: Ich habe mir das angeschaut. Überrascht war ich nicht: Das war zwar lautstark, wie immer bei den Rechten, aber schwach an Personen.
Seit wann wohnt Ihr alleine?
Schalte: Ich lebe seit 1 1/2 Jahren getrennt von meiner Frau.
Hat sich dadurch irgendwas zwischen Euch beiden verändert?
Dragan: Wir unternehmen mehr miteinander.
Schulte: Oft auch mit seinen Freunden. Ich komme mal mit in die Disko oder seine Freunde sind ab und zu hier, grillen und trinken ein Bier.
Dragan: Manchmal fährst Du uns auch zu irgendwelchen Versammlungen, weil ich noch keinen Führerschein habe.
Schalte: Stimmt, letztens habe ich Euch zu dieser Veranstaltung gefahren, wo es darum ging, wann man sich strafbar macht und wie weit man gehen darf, was passiert, wenn man bei Schmierereien erwischt wird und so.
Ist das väterliche Nächstenliebe oder väterliche Vorsicht?
Dragan: Für mich ist er eher ein Kumpel als ein Vater. Nur dass wir eine andere politische Meinung haben. Ich habe lange Zeit gar nicht richtig wahrgenommen, dass er ein Linker ist.
Wenn Sie unterwegs sind mit der Clique, fühlen Sie sich dann verantwortlich für das, was Ihr Sohn verzapft?
Schalte: Das ist doch eigentlich die normale Aufgabe eines Vaters, dass er sich darum kümmert, was der Sohn so treibt.
Dragan: Wenn Du mitkommst, weißt Du einfach auch, wo ich bin und was so abgeht. Das ist Dir doch schon wichtig.
Wie reagieren die Jugendlichen auf Deinen Vater?
Dragan: Eigentlich wissen alle, dass er ein Linker ist. Aber er wird voll und ganz akzeptiert. Er ist eben nicht so einer, der noch total aktiv ist und meine Freunde volllabert.
Schalte: Das ist kein Thema. Wir reden nicht viel über Politik. Aber ich glaube, die Jungs finden das klasse, dass ich als Vater so viel mit Dragan mache und wie ich mit seiner Ideologie umgehe. Ich glaube, es kommt auch an, dass ich sie als Menschen akzeptiere. Die Jugendlichen als rechte Spinner abzutun und zu sagen, dass ich mit ihnen nichts zu tun haben will, bringt doch nichts.
Die Sprüche über Ausländer finde ich natürlich daneben. Das ist auch immer so ein Thema zwischen uns zweien hier zu Hause. Sowas akzeptiere ich auch nicht. Ich bezeichne mich immer als Weltbürger. Wenn jemand sagt „Ich bin Deutscher“ oder auch „Ich bin Türke“, finde ich das total beknackt, genau wie die Parolen, die hier zu Hause manchmal fallen. Insgesamt habe ich aber ein gutes Verhältnis zu seinen Freunden. Auch wenn das paradox klingen mag.
Ist die Paradoxie von Ihnen gewollt?
Schalte: Nein, ich denke, das hat sich einfach so ergeben. Ich habe nichts gegen meinen Sohn. Seine Grundeinstellung werde ich nicht auf Teufel komm raus umzubiegen versuchen. Das würde nur das Gegenteil bewirken. Dazu kommt: Wenn ich meine politische Vergangenheit betrachte, muß ich mir eingestehen: Mit 18 Jahren habe ich auch CDU gewählt. In eine Anti-Vietnam-Demonstration in Bremerhaven bin ich mit meinem Bruder und unserer Ente reingefahren, das Dach war nach hinten gerollt, und ich habe ein Luftgewehr rausgehalten, an der die amerikanische Fahne hing. Das war provokativ, und kurz darauf stand ich politisch ganz woanders. Dragans Einstellung sehe ich genauso als Durchgangsphase.
Dragan: Für mich ist aber klar, dass ich bei dieser Einstellung bleiben werde.
Schalte: Na gut, das ist aus Deiner Sicht klar. Ich sehe das aus der Sicht eines 49jährigen, und welche Wandlungen es bei mir gab. Vom CDUler zum KBWler, vom Anti-Gewerkschaftler zum Personalrat. Ich habe vielleicht nicht so extrem gedacht, aber verschiedene politische Varianten habe ich auch gelebt und mitgemacht. Außerdem beobachte ich bei Dir immer noch ein soziales Denken. Von daher mache ich mir nicht wirklich Sorgen.
Haben Sie versucht, Ihren Sohn links zu erziehen, mit Kinderladen und so weiter?
Schalte: Als er klein war, sind wir auf die 1. Mai-Demos gefahren und klar hatte wir auch eine rote Fahne dabei. Einer seiner drei eingetragenen Namen ist Ché, von Ché Guevara. Meine andere Tochter hat einen chinesischen Kindernamen. Auch da zeigt sich natürlich die Vergangenheit seiner Eltern. Als er klein war, hing eine Fahne mit dem Foto von Ché auch im Kinderzimmer.
Der Name ist aber ein ganz schönes Handycap in einer rechten Clique, oder?
Dragan: Mittlerweile komm ich damit klar. Manche Leute fragen schon, was das für Namen sind und ob ich überhaupt ein Deutscher bin. Aber die meisten kennen den Namen Ché gar nicht erst. Wegen meines ersten Namens wird schon mal gewitzelt, dass ich ein Jugoslawe bin oder so.
Für wie rechts halten Sie denn Ihren Sohn?
Schalte: Er gehört sicher nicht zu den harten Jungs, die Ausländer verprügeln und Häuser anstecken. Die Jungs gehen damit ganz vernünftig um, hoffe ich. Ich finde das schon noch akzeptabel, wie seine Freunde mir gegenüber auftreten. Die senden ja nicht am laufenden Band rechte Texte. Ich hoffe einfach, dass die Jugendlichen Erfahrungen machen, die sie in eine andere Richtung gehen lassen.
Ist das Erziehungs-Versagen, wenn der Sohn rechts wird?
Schalte: Nein, das sehe ich nicht so. Er wurde in seinem Umfeld immer wieder mit rechten Positionen konfrontiert: Hier gibt es einfach viele Menschen, die mal eine rechte Parole ablassen. Klar, wenn ich das als Kind immer gehört hätte, könnte ich mich dem vielleicht auch nicht so einfach verschließen.
Dragan: Ich wurde nie gezwungen, rechts zu sein. Das ging von mir aus.
Schalte: Aber das Umfeld hat Dich doch geprägt. Klar, dass das alles auch ins Gegenteil umschlagen und zu Ablehnung von Positionen führen kann, wie bei mir vielleicht. Bei Dir kamen ja wohl auch noch negative Erfahrungen mit ausländischen Mitschülern dazu. Wenn dieses Umfeld anders gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht so gekommen, wie es jetzt ist. Aber ich glaube, Du musst Deinen Weg alleine finden. Wenn meine Eltern nicht wollten, dass ich irgendwas mache, habe ich es erst recht gemacht. Für mich ist es wichtig, dass wir nicht so weit auseinander driften, dass wir nicht mehr miteinander reden können. Aber da müsste auch schon viel passieren. In dem Moment, wo er eher auf eine Gewaltschiene einsteigt, würde ich schon sagen, dass da Schluss sein muss. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er extrem abgleitet.
Fragen:Christoph Dowe
Die Namen sind geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen