Im Dienst der Image-Pflege

Auf holländischen Zivilisationsspuren in Brandenburg: Die große Oranierausstellung „Onder den Oranje Boom“ im restaurierten Schloss der nördlich von Berlin gelegenen Provinzstadt Oranienburg  ■   Von Christian Semler

Ein trostloser Ort in einer verrufenen Gegend – dies die Kurzbeschreibung des Gemäuers, das Mitte der neunziger Jahre vom einstigen Schloss Oranienburg im Norden Berlins übrig geblieben war. Über der Stadt gleichen Namens lag ein doppelter Schatten. Der des ehemaligen Konzentrationslagers und ein zweiter, den die dumpfe Fremdenfeindlichkeit vieler Eingeborener warf. Das Schloss selbst war bereits im 19. Jahrhundert seines Interieurs entkleidet und diversen sachfremden Nutzungen unterworfen worden: von der Chemiefabrik über die Lehrerbildungsanstalt bis zur Kaserne für die Grenztruppen der DDR. Längst war der Schlosspark dahin, und das Portal umwehten übel riechende Minolabgase von der nahen Magistrale 96a.

Obwohl eine Reihe abenteuerlustiger Berliner den Sprung in den Norden wagten und fanden, es lebe sich ganz gut in Oranienburg, blieb es um den Ruf der Stadt schlecht bestellt. Bis man sich ihres Namens besann, bis der glänzende Einfall geboren wurde, an ihre Ursprünge anzuknüpfen und den guten Ruf des Hauses Oranien in den Dienst der Image-Pflege zu stellen.

Die Ausstellung „Onder den Oranje Boom“, die das segensreiche Wirken von Mitgliedern des niederländischen Statthalters, später des Königshauses in Brandenburg und einer Reihe westdeutscher Territorien dokumentiert, ist ein Gemeinschaftswerk holländischer und deutscher Ausstellungsmacher. Sie war zuerst im einstmals oranischen Krefeld zu sehen, macht jetzt, angereichert durch eine große Zahl brandenburgisch-berlinischer Objekte, in Oranienburg Station und wird schließlich zu Ende des Jahres im königlichen Schloss zu Appeldoorn zu sehen sein.

Von dem Ausstellungsprojekt ging die Initialzündung zur Restauration des Schlosses aus, ein Unternehmen, das, bürokratischen Querelen und vielfacher Inkompetenz zum Trotz, rechtzeitig zu Ausstellungsbeginn vollendet wurde. Es gelang, die ursprüngliche Raumaufteilung zu rekonstruieren. Der alte Oranjesaal gruppiert sich, wie ehedem, um die Zentralachse des Schlosses. Die Ausstellungsräume folgen ebenfalls der alten Zimmerflucht. Sie sind, bis zum hellen Holzfußboden, edel-einfach gestaltet. Wie auch die Fassade im norddeutschen Barock, mit hell- und dunkelgrauen Farbabstufungen.

Die zukünftige Nutzung dieses riesigen Museums-Areals ist noch nicht ganz klar. Wird es gelingen, die vielfach verstreuten Ausstellungsobjekte aus Brandenburger Beständen hier zusammenzufassen, oder hat sich die Stadtverwaltung nur ein angemessen herrschaftliches Domizil errichtet?

Klar ist bislang, dass die historisch bedeutsamen, wenngleich scheußlichen riesenformatigen Ölgemälde, die die Verbindung der Häuser Oranien und Hohenzollern feiern, das künftige Museum schmücken werden. Wird neuer Glanz auch auf den Ort ausstrahlen, wird, wie vor 350 Jahren, der niederländische Einfluss seine wohltätigen Wirkungen auf eine wüste Umgebung entfalten?

Für die damalige Zeit, für das vom Dreißigjährigen Krieg zerstörte, entvölkerte Brandenburg belegt die Ausstellung auf eindrucksvolle Weise den Zivilisationsschub, den die Heirat der Oranierprinzessin Louise Henriette mit dem brandenburgischen, dem „Großen“ Kurfürsten Friedrich Wilhelm nach sich zog. Wobei stets im Gedächtnis behalten werden muss, dass die Blüte der niederländischen Kultur seit den Befreiungskriegen gegen Spanien Produkt der sich entfaltenden holländischen „civil society“ ist, während die oft umstrittenen und mehrfach entmachteten Oranier-Statthalter nur ihr militärischer Arm waren.

Von der Architektur über die Landwirtschaft zu den schönen Künsten und zur Wissenschaft führt diese holländische Zivilisationsspur in Brandenburg. In den einzelnen Abschnitten der Ausstellung können wir nachvollziehen, was wir noch heute den holländischen Kolonisten zu verdanken haben – bis hin zu der hinreißend schönen Landschaftsarchitektur der Havel zwischen Berlin und Potsdam, deren Ursprünge gleichfalls auf oranische Künstler zurückgehen.

Den Festungsbau und das Militärwesen nicht zu vergessen. Denn manche der als typisch preußisch empfundenen soldatischen Tugenden wie Untugenden, von Pflichtbewusstsein, Sparsamkeit und Disziplin bis zum Exerzierreglement und zum Kadavergehorsam haben ihren Ursprung in der Heeresreform, die der Große Kurfürst nach holländischem Vorbild einführte. Holland war eben nicht nur das Zentrum des Bürgerstolzes, der Toleranz und des humanitären Völkerrechts, sondern auch der modernen Kriegswissenschaft (und des Handels, einschließlich des Sklavenhandels). Von dieser zwiespältigen Erbschaft wird auch ein Exemplar jener Kanonen künden, die die Stadt Amsterdam, ein führender Waffenexporteur, jährlich dem brandenburgischen Kronprinzen schenkte und das bei der Vorabbesichtigung noch nicht „platziert“ worden war.

Wie schon in der legendären Preußen-Ausstellung der achtziger Jahre im Gropiusbau zeigt auch „Onder den Oranje Boom“ die westlich-aufklärerische Tendenz des brandenburgisch-preußischen Absolutismus, die später auf so verhängnisvolle Weise von der Ostexpansion und dem Militärdespotismus überlagert wurde, ohne je ganz zu verschwinden.

Dass auch diese „westliche“ Tendenz nicht nur lauterer Humanismus war, belegen die kolonialen Experimente, die der Große Kurfürst, holländischem Vorbild folgend, unternahm. „Unsere“ Stützpunkte für den Sklaven- und Zuckerrohrhandel in den Kariben und Guinea konnten freilich von „unserer“ stolzen brandenburgischen Flotte, deren Abbild in der Ausstellung zu bewundern ist, nicht gehalten werden.

Der Exotismus, der im Gefolge von Johann-Moritz von Nassau-Siegen, dem langjährigen Gouverneur von Holländisch-Brasilien, am brandenburgischen Hof seinen Einzug hielt, ist in Oranienburg noch bei manchem Möbelstück, auf manchem Gemälde zu bewundern.

Für die Ausstellung wurde ein schöner Katalog erarbeitet, dessen zentrales, auch Oranienburg betreffendes Kapitel von der Kuratorin Claudia Sommer geschrieben worden ist. Schade nur, dass die thematische Begrenzung auf die Mark Brandenburg die holländische Ausstrahlung auf die heute zu Polen gehörende Neumark und auf Ostpreußen unterbelichtet ließ. Eine stärkere Einbeziehung Polens in das Ausstellungskonzept wäre schön gewesen – nicht zuletzt aus politischen Gründen.

Zeitgleich zu „Onder den Oranje Boom“ wird im Konzentrationslager Sachsenhausen eine Ausstellung über das Schicksal tausender holländischer KZ-Häftlinge während des Zweiten Weltkriegs eröffnet. Diese Koinzidenz ist wichtig, wenngleich sie nicht allerorts gutgeheißen wird. Die Lichtseite der Geschichte allein ist nicht zu haben – weder in Weimar noch in Oranienburg.

Bis 14. November, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr