■ Früher wollte die PKK ein unabhängiges Kurdistan erkämpfen. Heute will sie nur noch Teil der Neuen Weltordnung werden
: Ein Rückzug ins Nichts

Die kurdische Arbeiterpartei PKK steht Kopf. Letzte Woche erklärte ihr zum Tode verurteilter Führer Abdullah Öcalan das Ende des bewaffneten Kampfes. „Die Atmosphäre der Gewalt hat die Entwicklung der Demokratie und der Menschenrechte in der Türkei behindert“, lasen seine Anwälte auf einer Pressekonferenz vor. Und weiter: „Die Gewalt, die die kurdische Frage verursacht, spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Lösung erfordert eine Beendigung der Gewalt. Deshalb rufe ich die PKK auf, ab dem 1. September den bewaffneten Kampf zu beenden und ihre Kräfte hinter die Landesgrenzen zurückzuziehen.“

Die Unterstützung des Führungsrates der PKK folgte prompt. Und Anfang dieser Woche gab das Zentralkomitee der Organisation volle Rückendeckung. Die Zeit des „bewaffneten Kampfes“ sei vorbei, nunmehr müsse zur „Methode des politischen Kampfes“ gegriffen werden. Die Partei werde sich künftig dem „Projekt der demokratischen Republik“ zuwenden – ganz so, wie es Öcalan während seines Prozesses dargelegt habe.

Möglicherweise ist es nur dem Zufall zuzuschreiben, dass der Begriff „Zeitgeist“ in den PKK-Erklärungen fehlt, denn er stand bei jeder Formulierung Pate. Die Neue Weltordnung, so der Tenor, werde auch im Nahen Osten alles richten. Selbst wenn sich „einige Kräfte dem Prozess widersetzen“ sollten, so werden sie doch „bald Teil des Prozesses“ sein, sagt das Zentralkomitee.

Ein unabhängiges Kurdistan hatte sich die PKK einst auf ihre Fahnen geschrieben, und der Staat schlug mit aller Härte zu. Dörfer wurden angezündet, ganze Landstriche entvölkert; Todesschwadrone mordeten mutmaßliche PKK-SympathisantInnen. Auch der PKK schien jedes Mittel recht und beseitigte, wer ihrer Meinung nach dem bewaffneten Kampf im Weg stand.

Kurdische ZivilistInnen waren die Hauptopfer dieses schmutzigen Krieges. Rund 40.000 Menschen – Unbeteiligte, türkische Soldaten und PKK-KämpferInnen – sind seit Beginn des bewaffneten Kampfes gestorben. Und nun das Achselzucken: Die Gewalt sei halt eine Weile lang notwendig gewesen für den „nationalen Kampf“, sorry wegen der Toten.

Ihr Salto mortale könnte der PKK als politischer Organisation das Genick brechen. Die Äußerungen der letzten Tage kommen einer Kapitulationserklärung nahe. Die Verbände sollen sich „zurückziehen“. Aber wohin? Die PKK will sich nicht der türkischen Armee ergeben. Doch bietet der kurdische Nordirak eine Zukunft? Dort hat schließlich der mit Ankara kooperierende Führer der Demokratischen Partei Kurdistans, Masud Barzani, das Sagen. Der wird – trotz des einseitigen Friedensangebotes der PKK auch an ihn – eine bewaffnete Guerilla, die um politischen Einfluss unter den irakischen KurdInnen buhlen könnte, kaum dulden. Zudem hat er die Rückendeckung der Türkei, deren Truppen in der Vergangenheit mehrfach die Grenze überschritten und gemeinsam mit Barzanis Peschmergas PKK-Stellungen angegriffen haben.

Das ist das Ende der PKK als bewaffnete Organisation. Hinter dem politischen Erfolg der Arbeitspartei ab Ende der achtziger Jahre steckt jedoch der militärische. Gerade weil sie militärisch agierte, gewann die PKK zunehmend Einfluss unter den KurdInnen in der Türkei. Sie kontrollierte praktisch alle legal und halblegal wirkenden kurdischen Parteien und Verbände; kritische kurdische Stimmen gegen die PKK waren kaum zu vernehmen, solange die Guerilla die totale Autorität Öcalans garantierte.

Eine PKK, die in den vergangenen Jahren militärisch geschlagen nun den bewaffneten Kampf aufgibt, wird den politischen Führungsanspruch in den kurdischen Regionen kaum noch geltend machen können und an Einfluss verlieren. Der türkische Staat wird mit einer Doppelstrategie antworten. Die klassische Zauberformel dafür lautet: Integration und Ausgrenzung. Integration für alle, die sich dem von der herrschenden Politik formulierten Rahmen fügen.

Jüngst empfing der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel die Bürgermeister kurdischer Städte im Präsidentenpalais. Allesamt sind Mitglieder der kurdischen Demokratischen Volkspartei „Hadep“, die vor kurzem noch als verlängerter Arm der PKK galt und vom Verbot bedroht ist. Selbst türkisch-nationalistische Kolumnisten wünschen den Bürgermeistern „viel Erfolg“; sie könnten sich ja jetzt in der Kommunalpolitik bewähren.

Die Ruhe in den kurdischen Regionen kommt zweifellos auch einem großen Teil der kurdischen Bevölkerung entgegen, der sich nach all den Opfern und dem Leid ein Ende des Krieges wünscht. Und wer weiß, vielleicht zeigt der türkische Staat sogar einmal Gnade – etwa in Form kleinerer Verbesserungen im kulturellen Bereich. Wer hingegen an der derzeitigen PKK festhält, wird ausgegrenzt. Auf diese Weise verschwindet die Organisation im Laufe der nächsten Jahre – jedenfalls innerhalb der Türkei. Wenn sich das politische System auch nur halbwegs flexibel zeigt (und einiges deutet darauf hin), wird es potenzielle PKK-AnhängerInnen künftig absorbieren.

Wie weit die Veränderungen innerhalb der PKK inzwischen fortgeschritten sind, zeigen Äußerungen von Osman Öcalan, Mitglied des Führungsrates der PKK und Bruder des zum Tode verurteilten Abdullah. Die Nato, die so gern Probleme außerhalb der Grenzen ihrer Mitgliedsstaaten löse, „werde sich letztlich auch ihren Probleme im Innern zuwenden“, schrieb Osman Öcalan zu Wochenbeginn in der PKK-nahen Zeitung Özgür Politika; „sie (die Nato) wird das alles nicht länger dulden.“ Damit setzt die einst so vehement US-feindliche PKK ganz auf Washington (und sieht geflissentlich darüber hinweg, dass es gerade die USA waren, die Abdullah Öcalan in die Hände des türkischen Staates gespielt hatten). Doch eine Intervention der USA, so Osman Öcalan, sei gar nicht nötig, sofern nur der türkische Staat endlich mit den „Repräsentanten des kurdischen Volkes“ rede.

Als militärische Organisation ist die PKK erledigt, als politische Organisation in der Türkei wohl ebenfalls. Ob und wie die PKK als politische Organisation in Europa überlebt, ist derzeit nicht auszumachen. Sie hat durch den bewaffneten Kampf die „kurdische Nation“ in die Politik getragen. Der kurdische Nationalismus, der als Reaktion auf den türkischen Nationalismus entstand, ist unbestreitbar zu einer ideologischen Kraft geworden. Und dieser Nationalismus wird im Exil weiter zementiert – unabhängig von den Entwicklungen und den Kräfteverschiebungen in Kurdistan. Im Exil nun orientiert sich die PKK nicht mehr an den Verhältnissen in den kurdischen Bergen, sondern blickt über den Atlantik. Ömer Erzeren

Der „Zeitgeist“ stand bei jeder Formulierung in der PKK-Erklärung PateDer bewaffnete Kampf hat die „kurdische Nation“ in die Politik getragen