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Perfektes Verbrechen am Plüschtier

Die Rebellion ist kaum mehr romantisch: Ehe man sich's versieht, mischen sich in der Ausstellung „Private Eye – Crimes & Cases“ im Haus am Waldsee Fakt und Fiktion, Kunst und Kriminologie  ■   Von Katrin Bettina Müller

In der Auffahrt des „Hauses am Waldsee“ steht ein alter Polizeiwagen, als ob hier gleich ein Remake der schwarzen Serie gedreht werden sollte. Krimilüstern betritt der Besucher die Ausstellung „Private Eye“, die am 100. Geburtstag von Alfred Hitchcock eröffnet wurde. Doch schon im ersten Raum ist es vorbei mit Kulissenzauber und dem Abtauchen in die Fiktion. „Ich habe meinen Vater erschossen“, sagt eine junge Frau in einem Video von Elisabeth Hautmann, und plötzlich steht nur noch die Trauer über Gewalt, Zerstörung und die Unmöglichkeit ihrer Zurücknahme im Raum.

„Geständnisse“ heißt das Projekt, an dem Elisabeth Hautmann ein Dreivierteljahr zusammen mit Inhaftierten gearbeitet hat. Die namenlose Gefangene, die von der Ermordung ihres Vaters erzählt, kostet das Bemühen um Aufrichtigkeit so viel Kraft, dass man ganz nahe an den Monitor herantreten möchte; aber das verhindert ein Verschlag aus Holzlatten, der ihre in der Sprache spürbare Isolation verdoppelt. Was fängt man an mit dieser Preisgabe einer Verletzung, für die man keine Hilfe weiß?

„Kunst und Kriminologie sprechen die gleiche Wahrheit aus: Von einem Moment zum anderen kann alles ganz anders sein“, schreibt Barbara Straka, Leiterin des „Hauses am Waldsee“, im Vorwort der Ausstellung, in der sich Authentizität und Fiktion immer wieder brechen. Patricia Pisani treibt dieses Verwirrspiel in „Das perfekte Verbrechen“ auf die Spitze: Sie hat die Fotos von Mordopfern retuschiert und lässt den wieder unversehrten Toten Schlaflieder singen. Dokumente aus polizeihistorischen Sammlungen wie Waffenattrappen und von Gefangenen gebaute Roulettetische wirken daneben wie Kuriosa von anekdotischer Harmlosigkeit; und doch stecken in ihnen verlorene Lebenszeit und deutliche Wünsche. Naiv und ohne die Distanz des Kunstwerks dienen sie diesem als Modell einer unverstellten Erzählweise.

Die Ausstellung, die auf einer Idee der drei Berliner Künstlerinnen Elisabeth Hautmann, Patricia Pisani und Bettina Hoffmann beruht, vermeidet ein romantisches Ausreizen des Außenseiterstatus von Künstler und Verbrecher. Um ein Sympathisieren mit der Rebellion wie noch in der klassischen Moderne geht es kaum mehr.

Wenn Annette Messager zerschlitzte Plüschtiere zu einem grotesk-triumphalen Fetisch zusammenfügt, macht sie die obsessive Gewalt zwar zu ihrer Methode: Aber dieser Gestus hat nichts mehr von der Schärfe des Schnitts mit dem dadaistischen Küchenmesser, der die verdeckte Anatomie einer Gesellschaft bloßlegte. Denn heute ist das Skandalisierte, wie z. B. der Kindesmissbrauch, auf den Messagers „Dissection  II“ anspielt, zur Handelsware der Medien geworden.

So scheint das Motiv des Verbrechens viel eher als ein Modellfall auf, an dem sich eine heute fast vergessene Verwurzelung der Kunst in den Ängsten des Lebens herausarbeiten lässt. Dafür sorgen vor allem die beiden amerikanischen Fotografen Weegee und Joel Sternfeld. Sternfelds Fotografie beginnt mit der Liebe zur Landschaft dort, wo sie am amerikanischsten aussieht und frisch gepflanzte Bäumchen und Siedlungshäuschen von der fortgesetzten Unterwerfung der Wildnis erzählen könnten. Doch was er zeigt, sind Tatorte von staatlicher Verantwortungslosigkeit: Da steht das kleine Haus mit den verbarrikadierten Fenstern auf einem mit Dioxin verseuchten Gelände und unter dem Bäumchen brach ein von Abtreibungsgegnern angeschossener Arzt zusammen. „Jede Tragödie fordert ihre Erinnerung“, schreibt Sternfeld und notiert unter den Bildern die Geschichten, die er meint. Mit Weegee (1899 bis 1968) schlägt die Ausstellung ein historisches Kapitel auf. Seit den 60er-Jahren, als Andy Warhol den N. Y. State Pavillon mit steckbrieflichen Fotos ausstattete, kam der Pressefotograf Weegee auch in der Welt der Kunst zu spätem Ruhm. Unterwegs mit Polizei und Feuerwehr fotografierte er in den 30er- und 40er-Jahren in New York Mordopfer, Tatorte und Verhaftungen mit einer Anteilnahme, als ob er sein Leben zwischen Dunkelkammer und nächtlichen Straßen nicht weit von dem der Protagonisten seiner Bilder entfernt wüsste.

„Haus am Waldsee“, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin, Di. bis So. 12–20 Uhr, bis 19. September

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