Im Schmalztollenland

■  Bianca Döring erzählt in ihrem Romandebüt „Hallo Mr. Zebra“ eine sprachgewaltige Kleinbürgertragödie aus den fünfziger Jahren

Bianca Döring war eigentlich mal Sängerin – wenn sie nicht gerade gemalt, Theater gemacht oder in der Fabrik gearbeitet hat. Und als sie zu schreiben begann, mochte sie zuerst keine Geschichten erzählen: Ihre Lyrik und ihre experimentellen kleinen Erzählungen spürten lieber dem Klang, dem Ton, den Kadenzen der Worte nach. Jetzt hat die Berlinerin ihre Wortmusik doch mal in die feste Form einer Geschichte gegossen. „Hallo Mr. Zebra“, so der harmlose Titel, ist ein ausgewachsener Roman. Er erzählt von einer Mädchenjugend in einer hessischen Kleinstadt Anfang der fünfziger Jahre.

Die Heldin des Romans, Trudie Goldmann mit Namen, ist 19 und will nicht küssen. Denn vom Küssen, so flüstert sie ihrer kleinen Schwester Annie mit schreckgeweiteten Augen zu, wird man schwanger. Welch eine Horrorvision für die Mädchen, die allabendlich die geschrubbten Finger über den gestärkten Laken falten und beten, sorgfältig überwacht von der Mutter Augusta. Die hat meistens rrrrrasende Kopfschmerzen, schimpft und putzt und ärgert sich stocksteif über ihren Versorgungsehemann Hieronymus, der furzt und seinen zigarrenrauchstinkenden Schädel aufs Paradekissen sinken lässt.

In dieses klaustrophobische Kleinstadt-Szenario hat Bianca Döring eine Spur Hoffnung versenkt: Trudie ist Lehrmädchen beim örtlichen Damenausstatter, träumt von der Karriere bei Dior und hat zumindest eine gute Anstellung in Aussicht. Doch da ist noch Bill Kiesel, ihr Verehrer. Der trägt Motorradbrille auf schweißglänzender Stirn und dahinter statt Verstand vor allem die Erinnerung an die tolle Zeit als Hitlerjunge, als die Amis einem arbeitslosen Hilfsarbeiter wie ihm noch nicht die besten Frauen wegschnappten. Brutal trampelt dieser Bill Kiesel in die mühsam aufrechterhaltene Nachkriegsordnung der Familie Goldmann hinein und ruiniert nacheinander Trudies Ruf, ihre Karriere und – natürlich – ihr Jungfernhäutchen.

Dass „Hallo Mr. Zebra“ also kein triumphaler Entwicklungsroman, sondern eher eine Kleinbürgertragödie wird, ist keine große Überraschung. Das eigentlich Erstaunliche ist der Sound, den Bianca Döring entwickelt, wenn sie die emotionalen Katastrophen und Verwicklungen im Hause Goldmann beschreibt. Wenn Bill Kiesel in heiratswilliger Stimmung auf sein Täubchen losstürzt, um es über die nächstbeste Schwelle zu tragen, dann ist Mutter Augusta nicht einfach verärgert oder verwundert: Nein, „sie hatte sich ungefähr zwanzig Zentimeter vom Boden erhoben und schwebte, starr und ein wenig nach vorn gekippt, wie ein Pfeil, der sich gegen Südosten ausrichtete, eine Kompaßnadel, die auf Hieronymus zeigte, in der blaulackierten Herrenzimmerluft, mit einem lila Gesicht und schneeweißen Händen, und am anderen, eisigen Ende des Saales versank ihre Tochter in einem grauweißen Schleier aus Schneekristallen, die sanft über den Eßzimmertisch wirbelten, das Haar versilberte ihr, die Augen ergrauten, die Rechte hielt ein überpudertes Toffee in die Höhe, ernst und voller Trauer ...“

... und da ist der Satz immer noch nicht zu Ende – denn wenn es ernst wird, dann macht Bianca Döring lieber drei Punkte als einen. Hinter der Story um verklemmte Mädchen in Petticoats versteckt „Hallo Mr. Zebra“ eine Sprachgewalt, bei der einem die 50er-Jahre-Nostalgie-Cremeschnitten aus der Hand purzeln. Wo andere ein Wort setzen, setzt sie drei, und das klingt wie Musik; wo andere mal ein Bild oder eine Metapher verwenden, hebt sie ab ins Surreale und beschreibt jeden Dornfortsatz einzeln, der ihrem Mutterdrachen Augusta aus den Schultern wächst. Dann macht sie ganz selbstverständlich weiter mit Trudie und ihrer Geschichte. Und während man der Heldin ständig zurufen möchte: „Tu's nicht! Heirate nicht diesen Stumpfkopf!“, wird man von Bianca Dörings angenehm mäandernder Prosa getragen bis zum bitteren Ende, wo man atemlos ankommt und feststellen muss: Die ahnungslos geschwängerte Trudie hat natürlich doch Ehebett, Ananasbowle und Klubgarnitur gewählt und man selbst das Buch in einem Zug gelesen.

Bianca Döring ist 1957 geboren und kennt die 50er Jahre eher aus dem Fernsehen als aus eigener Erfahrung. Trotz aller Schmalzlocken und anderer Details ist ihr Roman kein Porträt einer Zeit. Ihre 50er sind etwa so realistisch zu verstehen wie die Drachenflügel der Mutter Goldmann: Was hier auf so kunstvolle Weise entsteht, ist Literatur, nicht Geschichte. Bianca Döring konstruiert eine Welt, so eng und grau, dass einem die Luft wegbleibt – und sprengt sie wieder durch die bunte Explosion ihrer Prosa.

Welches Fabelwesen aber mag nur den Menschen geritten haben, der den Klappentext geschrieben hat. „Ein turbulenter Roman über die Anfangsjahre der Republik“ heißt es da: Als wär's von Hera Lind. Das hat Bianca Döring nicht verdient. Elke Buhr
‚/B‘Bianca Döring: „Hallo Mr. Zebra“. dtv, 28 DM

Bill Kiesel ruiniert nacheinander Trudies Ruf, ihre Karriere und – natürlich – ihr Jungfernhäutchen