Mit Folk, Fisch und Feuerwerk

Das Festival Interceltique in der Bretagne will nicht mehr Teil einer Jugendbewegung sein – nur der Streit um die Minderheitensprachen sorgte noch für Unruhe  ■   Von Christian Rath

„French TV is killing our language“, steht auf dem Transparent. So genannte Linksnationalisten haben ein Gebäude des französischen Regionalfernsehens in der südbretonischen Hafenstadt Lorient besetzt. Sie verbreiten ihre Botschaft in englischer Sprache, weil die meisten PassantInnen ein auf Bretonisch verfasstes Transparent vermutlich gar nicht verstanden hätten – auch das eine Folge der französischen Sprachpolitik, die überall im Hexagon den Gebrauch der Staatssprache durchsetzte. Tatsächlich spricht nur noch ein halbes Prozent der rund 3,5 Millionen BretonInnen im täglichen Leben die traditionelle Sprache der Region, weitere 10 Prozent beherrschen sie immerhin – Anfang des Jahrhunderts waren es noch 1,5 Millionen.

Die Sprachenfrage war beim diesjährigen Festival Interceltique in Lorient, dem größten Folkfestival Europas, allgegenwärtig – ein Ausdruck der Auseinandersetzungen um die Ratifizierung der „Charta europäischer Minderheitensprachen“. In Paris möchten die linke Regierung und Premier Lionel Jospin das Vertragswerk des Europarats in Kraft setzen, das Verfassungsgericht fordert jedoch zuvor eine Verfassungsänderung – was der gaullistische Präsident Jacques Chirac strikt ablehnt. In der Bretagne ist man fast einhellig für die Ratifikation, weil sie die Möglichkeit garantiert, Minderheitensprachen in Schulen, vor Gericht und in der Verwaltung anzuwenden. Immer wieder nutzten DemonstrantInnen in Lorient die Festivalöffentlichkeit, um sich für die Charta einzusetzen.

Auf den ersten Blick war der Rahmen gut gewählt, immerhin gehören Sprache und Kultur ja eng zusammen, vielfach wird die Sprache auch als wichtigste Trägerin der Kultur gesehen. Andererseits wirkte der Einsatz für die bretonische Sprache fast wie eine trotzige Pflichtübung. Die Bereitschaft, die Sprache selbst zu erlernen, ist jedenfalls lang nicht so hoch wie die Bereitschaft, für ihre „Förderung“ einzutreten. Auch hat sich die bretonische Kultur trotz schwindender Sprachkenntnisse so gut erhalten und entwickelt wie kaum eine andere Regionalkultur in Europa. Insbesondere bretonische Musik und bretonische Tänze haben seit den siebziger Jahren wieder große Popularität gewonnen. Und die schwarzweiße Bretonen-Flagge „Gwenn ha Du“, einst verfemtes Symbol radikaler UnabhängigkeitskämpferInnen, ist heute in der Bretagne allgegenwärtig.

Eine wichtige Rolle beim Bretagne-Revival spielte sicherlich auch das Festival Interceltique in Lorient, das im nächsten Jahr bereits sein 30-jähriges Jubiläum feiern kann. Der Name „Interceltique“ zeigt an, dass das Festival in der südbretonischen Hafenstadt kein rein bretonisches Ereignis ist, es will vielmehr in jedem August für zehn Tage die Kultur der acht „keltischen Nationen“ – Bretagne, Schottland, Irland, Wales, Isle of Man, Cornwall, Asturien, Galicien – zusammenführen. In den 70ern konnte man so der Pariser Dominanzkultur zeigen, dass die Bretagne nicht nur eine französische Randregion, sondern Teil eines größeren kulturellen „Erbes“ ist. Heute bietet die keltische Orientierung immerhin noch ein attraktives Gestaltungsprinzip, das auch eine gemeinsame musikalische Grundfarbe sicherstellt.

Rund 400.000 BesucherInnen zählte man in diesem Jahr – jedes Jahr ein neuer Zuschauerrekord. Im „Jahr der Bretagne“ feierten nicht nur alte Helden wie Gilles Servat, Dan ar Braz oder Tri Yann mit ihren Fans, es wurden bei dieser Leistungsschau der bretonischen Folkmusik auch zahlreiche neue Projekte vorgestellt. So präsentierte etwa der traditionelle Gwerz-Sänger Denez Prigent eine Art Drum-'n'-Bass-Folk, und die Gruppe Tayfa überraschte mit einem kabylisch-bretonischem Crossover. Als nicht Lorient-würdig wurde dagegen die Pariser Rapper-Clique Manau erachtet, obwohl sie von ihrem Album „Panique Celtique“ in Frankreich immerhin eine Million Exemplare verkauften. Sie werden als Opportunisten angesehen, die bretonische Klänge mit HipHop verquicken, aber nicht wirklich an der Bretagne interessiert sind.

In den letzten Jahren wurde Lorient immer mehr zum „Festival für die ganze Familie“. Man bemüht sich gar nicht mehr, Teil einer Jugendbewegung zu sein. Abzulesen ist das etwa am „Dans Noz Vraz“, einem „großen Tanzfest“. Vor einigen Jahren versuchte man noch, mit diesem Ereignis den regionalen Techno-Raves Konkurrenz zu machen, jetzt ist es nur noch ein Fest mit besonders guten und bekannten Bands. Ein öffentlicher Zeltplatz für jugendliche Besucher besteht schon seit einigen Jahren nicht mehr, dafür sind während des Festivals die Hotels im Umkreis von fünfzig Kilometern ausgebucht.

Neben den Konzerten gibt es viel Spektakel: Tanzwettbewerbe, Umzüge, Straßenfeste mit Fischspießen und Crêpes sowie die beliebten „nuits magiques“ (magische Nächte) im Stadion von Lorient. Dort wird mit aufwendiger Lichttechnologie, unter Einsatz kopfstarker Dudelsack- und Bombardenorchester, auch vor keltischem Kitsch nicht zurückgeschreckt – Feuerwerk inbegriffen. Das Stadion ist immer gut besucht, auch so steigert man die Besucherzahlen. Trotzdem ist das Festival Interceltique kein Touristenspektakel. Zwar spielen Besucher von außerhalb keine geringe Rolle – seien es Folkfans oder normale Urlauber – im Wesentlichen wird das Festival aber von den Bretonen getragen, als Feier einer eigenständigen Regionalkultur – wie hierzulande in Bayern.

Doch während im Freistaat die weißblaue Flagge zugleich die Staatsmacht repräsentiert, hat das Hissen der Bretonen-Flagge immer noch etwas Konfrontatives in sich. Nur, wenn mit Catherine Trautmann bereits eine französische Kulturministerin das Festival Interceltique eröffnet, dann sind sich Paris und seine aufmüpfige Regionalkultur doch schon ziemlich nahe gekommen. In diesem Zusammenhang kam der Konflikt um die europäische Sprachencharta wohl gerade recht – bevor es in Lorient zu gemütlich wird, hat man endlich mal wieder einen handfesten Konflikt mit dem „französischen“ Staat.