In Fußballland

■ Christoph Biermann

Zur neuen Saison hat der MSV Duisburg sein Profil deutlich verbessert. Nun, nicht unbedingt auf dem Spielfeld, wo immer noch die weiten Flugbälle wehen, sondern im Presseraum des Wedaustadions. Der befindet sich im Bauch der Haupttribüne und ist eigentlich eine holzvertäfelte Turnhalle. Und dort bietet der Klub der angereisten Journaille neuerdings eine warme Mahlzeit an. Das ist prima, doch dieses Duisburger Cordon Bleu soll hier nur eine kleine Ouvertüre zum Sozialneid sein.

Die Anreise gehört zu den größten Prüfungen der Anhänger des FC Schalke 04

Schließlich liegt die größte Bevorzugung des Fußballjournalisten gegenüber dem ordinären Fan weder im Frei-Fressen, noch der kostenlosen Begutachtung des Spiels von besten Plätzen aus, wo man sonst für schlechtere Sicht ordentlich zahlen muss. Der Ausweis höchsten Glücks ist aus Pappe, meistens im DIN-A5-Format, nicht selten in Plastik laminiert und heißt Durchfahrtschein. Ein solches Papier wirkt Wunder. Selbst bei größtem Andrang darf man sein Auto bis ans Stadion chauffieren, wo der zugewiesene Parkplatz wartet. Das ist toller als alle Pressekarten und Umsonst-Schnitzel der Welt, weil stressmindernd und ein wertvolles Geschenk von Lebenszeit.

Doch, wo ein Vorteil ist, das hat uns Fußball-Philosoph Jürgen Wegmann einst gelehrt, ist auch ein Nachteil. In diesem Fall ist er in Schalke. Auch da ist ein Durchfahrtschein ein Durchfahrtschein, und der Klub hat sich gerade neulich kolossale Mühe gegeben, eine faszinierend komplexe Ordnung für das den Autos zugewiesene Matschfeld hinter der Haupttribüne zu entwerfen. Doch auch diese ändert nichts an dem Problem, dass vor dem reservierten Parkplatz noch die Fahrt dorthin steht. Die Anreise zum Parkstadion in Gelsenkirchen aber gehört zu den am meisten unterschätzten Prüfungen der Anhänger des FC Schalke 04. Mag die Null auch falsch stehen, was ist das gegen die letzten Kilometer bis zum Parkplatz. Jeder Besucher eines Schalke-Heimspiels sollte dafür mehrere Stunden einplanen. Und: Schleichwege, die gibt es nicht. Unterschiedliche Zuschauerzahlen wirken sich ebenfalls nicht wesentlich aus, die kunstvollen Staus werden immer arrangiert. Besonderes Geschick besteht vor allem darin, dass sich unterschiedliche Autoschlangen irgendwann gegenseitig in den Würgegriff nehmen und schließlich alles zum Stillstand kommt.

Man muss diesen Verein also schon sehr lieben, um sich alle vierzehn Tage der Tortur einer Anreise zum Parkstadion auszusetzen. Wobei die weiten Wanderungen auf schlammigen Wegen zwischen dem Auto und dem Platz in der Kurve, wo alle Schalker zusammenstehn, hier nur nebenbei Erwähnung finden sollen. Besonders beeindruckend und unbedingt erwähnungswürdig ist hingegen, dass es nach dem Spiel erneut zu opulenten Verstopfungen der Verkehrsadern kommt. Die Polizei trägt gerne dazu bei, indem sie jene nahe dem Stadion befindliche Autobahnauffahrt schließt, wahrscheinlich in Absprache mit dem Gelsenkirchener Fremdenverkehrsamt. So werden auf weiten Umleitungen durch die Stadt den Besuchern auch andere Attraktionen der Emscher-Metropole vorgeführt. Im gemessenen Tempo, um alles genau sehen zu können, denn Stau ist auch noch, wenn das Spiel seit mehr als einer Stunde abgepfiffen ist.

Bereits seit neunzig Zeilen liegen unsere Freunde des Öffentlichen Personennahverkehrs auf der Lauer, die für solch larmoyante Autofahrerklagen nur Hohn und Spott, vielleicht auch Wut und Trauer übrig haben. Denen sei eine gute Fahrt auf der zwölf – oder waren es zweihundert – Kilometer langen Straßenbahnfahrt vom Stadtzentrum hinaus zum Berger Feld gewünscht. Besonders auf der vielstündigen Rückfahrt nach dem Spiel findet man nicht selten auf offener Strecke verlassene Waggons, die – kein Witz – im Stau stehen. Vielleicht, weil junge, erlebnisorientierte Fußballanhänger im Überschwang irgendwo die Notbremsen gezogen haben oder weil sonstwas schiefgegangen ist.

So ziehen die treuen Schalker Fans, diese Helden der Freizeit, zu Fuß die Straße entlang und verursachen was? Einen Stau. Und spätestens hier, auf der Kurt-Schumacher-Straße im Niemandsland zwischen Stadt und Stadion, fügt sich alles zu einer mächtigen Demonstration bei diesem Verein des Volkes, und Privilegien wie Durchfahrtscheine sind plötzlich nur noch wertloser Tand.