Zwischen Plüsch und Playback

Wie aus falschen Perlen und Strass echte Juwelen werden können: Romy Haag erzählt in ihrer Autobiographie „Eine Frau und mehr“ von diversen sexuellen Initiationen und ihrem Leben als glamouröse Exotin und unerschrockene Einzelkämpferin  ■   Von Axel Schock

Bundespräsident Walter Scheel empfängt im Schloss Bellevue Kulturschaffende des Landes, und die vermeintlich feine Gesellschaft Berlins rümpft die Nase, als Romy Haag den Saal betritt: Eine Dame der Halbwelt, eine Nachtclubbesitzerin, und dann auch noch transsexuell. Viele machen Platz oder drücken sich an die Wände, aus Angst, unfreiwillig mit ihr zusammen auf ein Foto zu geraten.

Noch heute ist Romy Haag, die mit ihrem Varieté-Club „Chez Romy Haag“ vor 25 Jahren das deutsche Nachtclubleben geradezu revolutionierte, sicherlich einer der bekanntesten Transsexuellen in Deutschland. Doch schon in den Siebzigerin war sie nicht nur eine glamouröse Exotin, sondern sie versuchte als unerschrockene Einzelkämpferin auch vom bürgerlichen Establishment Anerkennung zu bekommen und begab sich so auf eine schwierige Gratwanderung zwischen Erfolg und Demütigung.

„Ich glaube, man kann den Dingen ohnehin nicht aus dem Weg gehen“, schreibt Romy Haag in ihrer Einleitung. „Die Wahrheit ist vielmehr: Sie tragen sich zu. Und ich hatte das Talent, das Beste aus einer Situation zu machen.“

Auch wenn man nicht gerade ein Fan der Chansonnette, TV-Moderatorin (und jüngst auch Regisseurin beim „Wintergarten“-Variété) ist, fesselt die Lektüre ihrer Autobiographie über weite Strecken: Romy Haag erzählt offen, aber ohne Sensationsgeheische von ihrem bewegtem Leben.

Ihre eher unglückliche Kindheit mit gleich mehreren sexuellen Initationen erlebte sie als Eddy in Den Haag. Der 12-jährige Junge wird von einer Nachbarin missbraucht, mit 13 erlebt er die erste glückliche Liebesbeziehung – mit einem Trapezkünstler – und macht nur wenig später die ersten Erfahrungen als Stricher wider Willen.

Da wusste Eddy genannt Ronny bereits längst, dass er eigentlich viel lieber eine Frau sein wollte, und so wurde aus Ronny Romy. Der Weg dahin führt von Amsterdam über Hamburg und schließlich nach Paris. Mit gerade einmal 16 Jahren war Romy Haag bereits ein kleiner Star auf der Bühne.

Das Leben zwischen Plüsch und Playback hatte offenbar aber eine ganz eigene Dynamik. Anders als in vergleichbaren Autobiografien verschweigt Romy Haag nicht die vielen Kehrseiten dieses Nachtclublebens, das für viele damals einzige Existenzmöglichkeit als Transsexuelle darstellte: weder die mafiaähnlichen, ausbeuterischen Strukturen des Gewerbes noch die Nebenverdienste, die sich die Tingel-Tangel-Girls mit sexuellen Dienstleistungen in den Separées erwirtschafteten, um sich vor allem die teuren und wichtigen Hormonpräparate leisten zu können. „Transsexuelle haben Federn am Arsch, singen in düsteren Nachtclubs und nehmen ein schlimmes Ende“ – diese Vorurteile wollte sie widerlegen. Aus falschen Perlen und Strass werden dank großzügiger Gönner und Verehrer echte Juwelen.

Aber mehr als das Leben im goldenen Käfig erstrebt sie die künstlerische wie persönliche Selbststimmung und Freiheit. „In Paris hatte ich gelernt, was es bedeutet, eine Frau zu sein, in New York das Showbusiness. In Berlin wollte ich mich nun selbst verwirklichen.“

Im November 1974 hat sie es geschafft – als Chefin eines eigenen Clubs, dem „Chez Romy Haag“. In der Welserstraße, in einem ehemalige Stricherlokal mitten im heruntergekommenen Nuttenviertel, lässt sie den roten Teppich ausrollen und hat für viele Zweifler überraschend Erfolg damit. Das „Chez Romy Haag“ schafft es, den Hautgout der Transen-Show abzustreifen, und wird zu einem offensichtlich stilprägenden, innovativen Ort für exklusive Revuen mit weltweitem Ruf. Für einige Jahre wurde das dunkle Lokal in Schöneberg zum Treffpunkt der High Society. Wer in der Stadt war, schaute auf alle Fälle mal vorbei: die Rolling Stones und Grace Jones, Donovan und Freddie Mercury, Lou Reed und Nina Hagen, Bette Midler und Tina Turner.

Name-Dropping gehört zu jeder Künstlerbiografie irgendwie dazu, da macht Romy Haag keine Ausnahme. Ob ihr Auftritt mit Josephine Baker und Blondie oder ihre kurze, aber romantische Liebesaffäre mit David Bowie – sie lässt da nichts aus, bleibt aber weitgehend diskret. Böse Worte und skandalöse Enthüllungen findet man nicht. Es sei denn, man ordnet Bowies unangenehmen Körpergeruch (aufgrund seines Kokain-Konsums) oder Matthieu Carrières peinlichen Karriere-Start als männlicher Travestie-Stripper in diese Kategorie ein.

Noch lieber aber liest man ohnehin die von Haag fast beiläufig erzählten Anekdoten. Wie zum Beispiel die Geschichte zweier Radrennfahrer der belgischen Nationalmannschaft. Zu viel Doping, und schon wuchsen ihnen Busen. Als sie im Profi-Sport nicht mehr einzusetzen waren, verdienten sie sich als „Rita“ und „Chantal“ in einem Hamburger Lokal den Lebensunterhalt für ihre Familien. Hoffen wir, dass dies dem Team Telekom niemals passieren wird.

Romy Haag (unter Mitarbeit von Martin Schacht): „Eine Frau und mehr“. Mit zahlreichen Fotos. Quadriga Verlag, 320 Seiten, 39,90 DM.