Und der Papst trinkt Pepsi

„Die Musik aus den Bergen ist nicht einfach irgendeine alte Musik. Sie ist das Herz, das schlägt“: Son de Mexico reflektieren zum Abschluss der Heimatklänge die Interdependenz von Folklore und Pop  ■   Von Andreas Becker

Gerade hatte man sich an das neue Ambiente des Tempodrom gewöhnt – immer wieder schön anzuschauen zum Beispiel das verblichen gelbe alte DDR-Postschild mit dem auf dem Kopf stehenden P –, da gehen die Heimatklänge schon in die letzte Woche.

Das Publikum hat sich trotz des Umzugs kaum verändert, und ob die Leute eher wegen der Musik oder wegen des hübschen Open-Air-Eventcharakters auftauchen, lässt sich nicht sagen.

Jetzt gastiert noch einmal eine mittelgroße Musikervereinigung aus Mexiko im Zelt. Son de Mexico heißt die Gruppe, die den Son (siehe unter: Wenders, Wim, und Kuba) in seiner eher relaxt zurückgelehnten Variante dokumentiert. Unter großen hellen Cowboyhüten stehen kleine Männer mit Geigen, lautenartigen Jarana-Gitarren, und singen. In Mexico spielen sie auf Dorffesten, Hochzeiten oder Beerdigungen. Die Texte werden häufig zusammen mit dem Publikum improvisiert – nicht schlecht wäre es also, wenn in den kommenden Konzerttagen jede Menge Leute erscheinen, die wenigstens ein paar spanische Schlagworte in petto haben.

Son de Mexico haben gleich mehrere Stars im sowieso schon ziemlich umfangreichen Gepäck. Einer davon ist Guillermo Velázquez. Er kommt aus Xichú im mexikanischen Guanajuato. Seine Texte bestehen aus Statements, die es in sich haben. Noch jung, wurde er von seiner Familie ausgewählt, in den USA zu studieren. Aber er blieb nicht bei den Imperialisten. Velázquez ist inzwischen einer der berühmtesten „Trovadore“ seiner Heimat. Er hat es sogar bis in den Londoner Jazzclub Ronnie Scott's gebracht.

In seinen intelligenten Texten reflektiert er schon mal locker die Interdependenz von Folklore und internationalem Pop: „Die Musik aus den Bergen ist nicht einfach irgendeine alte Musik. Sie ist das Herz, das schlägt. Simple Folklore oder eine Pistolenkugel.“

Es kommt aber noch dicker. Hinter der Bühne logiert wie immer der Chefideologe der Heimatklänge, Christoph Borkowsky. Und der hat ein zweiseitiges Papier in der Hand, auf dem der neuste Text von Velázquez abgedruckt ist. Dabei geht es schlicht um Pop und Politik am Ende des Millenniums. „Was bleibt, sind die Beatles und das Gesetz des Dollars. Auf Fahnen flattern die Streitpunkte. Marihuana rauchend geht dieses Jahrhundert und lässt uns zurück. Und der Papst trinkt Pepsi.“

Son de Mexico aber bieten nicht nur Intellektuelles zum Stand der Dinge, sie erfreuen die wenigen Besucher auch mit selbst gebasteltem Augenschmaus. Denn im Gepäck ihres Flugzeugs fanden sich die Grundstoffe für gleich drei mehrere Meter hohe Karnevalsfiguren. Zunächst betritt „die Touristin“ das Terrain vor der Bühne.

Eine Dame mit langen roten Papierlocken, die sich ungeschickt tanzend zum Son bewegt. Aber zu ihrem Glück gesellt sich ein Herr im schwarzen Anzug zu ihr, der ein Dollarzeichen auf dem Revers trägt. Genüsslich wird er von einem der Musiker als Señor Capitalismo y Neoliberalismo vorgestellt. Die beiden verstehen sich auf Anhieb recht gut.

Kurz vor Ende des Abends, als es so richtig schön zu regnen beginnt und alle ins schützende Zelt strömen, kommt die dritte Figur ins Spiel. Ein Mann aus Pappe, der maskiert ist, einen gut bestückten Patronengürtel trägt und eine schwarze Maschinenpistole schultert. Es ist, wie kann es anders sein, der allseits beliebte Subcomandante Marcos. Die Revolution in die Städte tragen, nannte man das früher. Heute merkt man dabei vor allem, wie unpolitisch es bei uns mittlerweile zugeht.

Irene Moessinger vom Tempodrom übrigens bekannte, sie würde gern am Ostbahnhof bleiben. Bis 2001 läuft der Vertrag dort. Dann aber heißt es wohl doch umziehen zum Neubau am Anhalter Bahnhof. Die Heimatklänge 2000 stehen schon fest: Thema dann ist Brasilien. Ahoi!

Tempodrom am Ostbahnhof: Fr. & Sa. 21.30, So. 16 Uhr