Themenläden und andere Clubs
: Ein selbstverständliches soziales Leben

■ Wie es ist, wenn braun gebrannte ältere Schweden in pastellfarbenen Pierre-Cardin-Hemden und mit aus der Hose hängendem Futter beim Essen sitzen, Spumante aus dem Systembolaget trinken und über Berlin sprechen

Die Großmutter lädt ein zum großen Mahl. Ihr Haus wird hundert. Wir sind in Schweden – Südschweden. Die Großmutter ist schwedisch, ebenso das Haus, ihr Freund, ihre Freunde. Alle sprechen Schwedisch. Es ist Svens Großmutter, deshalb spricht er auch Schwedisch. Ich nicht.

Es ist bereits das zweite große Essen in dieser Woche. Fünfzehn Leute sind geladen. Im blauen Zimmer, am Eichentisch, zu Lachs und Spinat, Kartoffeln und Grönsaker (Grünzeugs). Dazu eine schmackige Majonäsesoße. Wie beim letzten Mal (Mahl). Ich hole den Wein aus dem Keller, dort, wo sie auch heimlich ihren Whisky brennt. Ein spritziger süßer Spumante (der Wein) aus dem Systembolaget, der staatlichen Alkoholverkaufsstelle. Die Gäste kommen: Verwandtschaft und Freunde. Der Barnbarn (Enkel) von Roland. Die Großmutter lebt in wilder Ehe mit Roland, den sie sich siebenundsiebzigjährig beim schwedischen Bouleclub in Malaga geangelt hat. Ihr Mann ist längst tot. Der Enkel ist ein hübscher junger Mann, dunkel – seine Mutter Französin –, mit modernem Bart und einer Freundin. Aus dem Ausschnitt seines Pullovers hängt ein goldenes Kreuz. Er geht demnächst für ein Jahr nach Südafrika – als Missionar.

Die Freunde: gepflegte, braun gebrannte alte Schweden in pastellfarbenem Pierre-Cardin-Hemd, und das Futter hängt aus der Hose. Sie bringen Gastgeschenke: After Eight, Walkers Highland Oatcakes und Duerr's fine cut lemon marmelade. Wir sitzen auf der Verandatreppe in der Abendsonne, bei Aperitif und Pastetchen, und schwatzen. Alle sprechen ein bisschen Deutsch. Alle waren schon einmal in Berlin, 1932. Die Alten kennen sich schon sehr lange. Sie sind Mitglieder in Boule- und Bridgeclubs und Vereinen zum Erhalt der Seezeichen. Sie treffen sich regelmäßig und feiern und essen, und die Winter verbringen sie gemeinsam in Spanien.

Auch meine Eltern treffen ihre besten Freunde wöchentlich zum Kegeln und verreisen mit ihnen. Ich treffe meine Freunde weder regelmäßig, noch verreisen wir zusammen. Nicht mehr. Ich beneide die Alten um ihr selbstverständliches soziales Leben.

Nach dem Essen hält die Großmutter eine lange Rede: Früher lebte die Familie in einer großen Wohnung in Karlskrona. Das Haus wurde von der Nüchternheitsbewegung gekauft, deshalb machten die eine Wohnungsbesichtigung. Dort stießen sie auf die Flaschensammlung des damals fünfjährigen Björn – ein Kinderzimmer voller leerer Schnapsflaschen – und erhöhten daraufhin die Miete so saftig, dass der Großvater kurz entschlossen das Haus auf dem Land kaufte, ohne der Familie etwas davon zu sagen. Ebendieses Haus.

Später in der Küche sitzt die Großmutter auf einem Hocker und ihr ist ganz schwach und schlecht. Ein Krampf im Solarplexus, der sie manchmal befällt, verbunden mit fürchterlichen Schmerzen, nur mit Whisky zu heilen. Nichts sonst hilft. Wir legen sie auf ihr Bett und bringen ihr die Medizin. Nach fünf Minuten springt sie schon wieder herum und macht Kaffee und holt die Prinzess-Torten heraus. Ich mache mich an den Abwasch, was sonst nicht meine Art ist – gerade deshalb –, unzählige Teller, Unterteller, Gläser ... im niedrigen Waschbecken, der Rücken schmerzt, aber ich mache Eindruck. Die Großmutter fällt mir um den Hals, ihre Wangen vom Whisky fröhlich gerötet.

Sie liebt mich. Und ich ziehe mich mit gutem Gewissen zurück auf die Liege im oberen Stockwerk. Mit den Sprachschwierigkeiten bin ich entschuldigt. Muss nicht reden, weil ich es nicht kann. Fällt nicht auf, dass ich es gar nicht will.

Draußen im Garten sitzen die Alten bei Kaffee und Likör und die Jungen spielen Krocket auf der großen Wiese. Friedlicher schwedischer Schönsommerabend. Das Haus der Großmutter wird hundert. Ein Grund zum Feiern und immer wieder: trinken. Skål. Elke Naters