: Politisch korrekt
Literarisch wertlos: Ulla Berkéwicz' neuer Roman entpuppt sich als Schwarzbuch der Geschwätzigkeit ■ Von Ulrike Baureithel
Zarah, Naila und Amina gehören zum weiblichen Kommando der Islamischen Revolution. „Wenn Frauen an einem Aufstand teilnehmen“, sagt ein persisches Sprichwort, „wird die Lage ernst.“ Ernst wird die Lage auch für die Leipzigerin Olga Michelizki, ausgebildet in libanesischen Trainingslagern, als sie am 1. November des Jahres 1987 von „den Schwestern“ einen Selbstmordauftrag übernimmt: Sie soll sich dem israelischen Wissenschaftler Alon Katznelson, der an einer das menschliche Bewußtsein manipulierenden „Wunderwaffe“ experimentiert, als Versuchsperson zur Verfügung stellen.
Katznelson seinerseits ist auf Olga angesetzt, um das islamische Todeskommando auszukundschaften. Als Olga im „Ural“, das die Exilrussin Tatjana Arkadjewna Orlowa in der Amsterdamer Altstadt betreibt, auf Alon trifft und sich in ihn verliebt, weiß keiner der beiden, ob der andere weiß, dass er weiß. Love and crime and politics, sorgfältig portioniert, ein dankbarer Stoff, doch, leider, eine Autorin, die das Genre in eine philosophistelnde Klippschule ummünzt.
Eines scheint Ulla Berkéwicz nach ihrer 1997 durchgefallenen Erzählung Zimzum beherzigt zu haben: Wenn man die literarischen Vorschmecker bei Laune halten will, sollte man tunlichst nicht mit asketischer Nouvelle Cuisine aufwarten, drei Bohnen Handlungsnichts, gegart im reinen Wasser dialogischer Nichtigkeit und angerichtet mit einer Brise kabbalistischer Philosophie, die behauptet, Goldstaub Gottes zu sein. Durcheinander purzelnde Figuren, die durch das nächtliche Schlachtfeld staksen und sinnlos das theresienstädtische Zimzum der Großmutter memorieren, sind, bei allem modischen Philosemitismus, nicht geeignet, die völlewütigen Kritikaster abzuspeisen.
Also fahndet man in der aktuellen Vergangenheit, mixt subalterne Stasimitläuferin mit islamischen Revoluzzern, das wissenschaftsgläubige Erez Israel mit orthodoxer Kabbala und schickt sein Personal in den stinkenden, verworrenen Grachtengürtel der Amsterdamer Altstadt, auf dass sich die Handlung im Selbstlaufwie ein Spinnennetz zusammenzieht und Gevatter Tod am Ende die Weisen zu sich holt.
Im „Ural“ schart sich allabendlich eine illustre Gesellschaft um die Orlowa und ihre kleine Kasachin, die ein Kind des abrahamalten, blinden Religionswissenschaftlers Elias Bluth trägt. Neben Elias werden der starke Johann, der die beleibte Inhaberin über die Treppen trägt, die rote Marina aus der Küche, der kollernde Eduwaard, die Tigerin, einst gefeierte Berliner Soubrette, der Tanzvogel Gigi, die schwarze Kolumnistin, Bart, der Transvestit und einige mehr aufgeboten, um, interkulturell aufgemischt, trinkfreudige russische Geselligkeit à la Ljudmila Ulitzkaja vorzutäuschen.
Doch während die Petersburger Biologin Ulitzkaja ihrer Personage prall aufblühen lässt, verordnet die philosophierende Frankfurter Autorin den „Ural“-Gästen ein ausgedünntes Statistendasein. Ihnen fällt die undankbare Rolle zu, in schwertrittigen Dialogen das komplizierte politische Szenario im Nahen Osten aufzufalten und zu kommentieren. Politisch korrekt und aufgeklärt, versteht sich, weiß doch beispielsweise die schwarze Kolumnistin, dass jüdischer Vaterlandswahn und Erlösungsterror dem der islamischen Blutsbrüder in nichts nachstehe, oder Islamismus und orthodoxes Judentum nur die Kehrseite des europäischen Rassismus darstelle, wie Bluths Assistent vermeldet.
Derlei aufgesetzte Sentenzen strömen unablässig aus den Mündern wie der Wodka rein, und dann folgt gelegentlich redseliger Dünnschiss: „Israel ist fehlerhaft und unvollkommen, und warum? Weil es ein Traum war, der Wirklichkeit wurde.“ Dabei hätte Olga Michelizki, diese subproletarische Loserin des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staats, das Zeug zur negativen Heldin, als sie erkennt, dass es im Nahen Osten schon lange nicht mehr um arabischen Sozialismus geht, und sie trotzdem den Kopf nicht aus der Todesschlinge kriegt. Auch in der Orlowa, die sich mit Tschaikowski und Tarot in ihren in vierzigjährigem holländischen Exil angefressenen Zentnern eingewohnt hat, steckt unverbrauchtes Potential. Ulla Berkéwicz dagegen degradiert sie zur Beichtmutter der beiden Spione, die in der entscheidenden Nacht vom 8. auf den 9. November all das berichtend nachholen, was die Erzählung der Autorin vorenthält.
Dafür läßt uns Berkéwicz teilnehmen an einer pornografisch anmutenden Kopulation zweier Schildkröten. Alon sitzt indessen mit seinen Probanden im Affenkäfig und pflegt seine Wissenschaftler-Skrupel; eine der wenigen Szenen, die für das Lesen entschädigen und daran erinnern, dass es sich hier um einen Roman und nicht um das Schwarzbuch des Nahostkonflikts handelt.
Ulla Berkéwicz: „Ich weiß daß du weißt“. Suhrkamp. 1999. 262 Seiten. 38 DM
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