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Eigensinnig auf dem Meer

Sie stimulieren wie eh und je romantische Sehnsüchte: Flaschenposten, ob nun gefunden an den Meeren der Welt oder an Ufern großer Flüsse. Früher waren sie vorwiegend Unglücksboten, Hoffnungs- und Geheimnisträger, Behältnisse von allerletzten Notrufen, aber auch beliebte Forschungshilfsmittel der Ozeanografie. Eine historische Liebeserklärung von Oliver Feldhaus

Theophrastos, Schüler des Aristoteles, beobachtete, dass Seetang vom „äußeren Meer“ (Atlantik) ins „innere Meer“ (Mittelmeer) getrieben wurde. Er schloss daraus, dass die Strömungen im Mittelmeer direkt vom Atlantik angetrieben würden. Um ihren Verlauf zu verfolgen, hat er in Piräus verschlossene Tonkrüge ins Wasser geworfen – was historisch wohl die erste überlieferte Flaschenpost war.

Seefahrer nutzten diese Form der Informationsübermittlung für Notrufe und als letzte Zeichen, auch Christoph Kolumbus. Es war in der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 1493. Nach drei Tagen und Nächten ununterbrochen tosender See wähnte sich der Westindiensucher verloren. Aber die Welt sollte wenigstens erfahren, notierte er in sein Schiffstagebuch, „dass unser Herr und Heiland ihm zum Triumph verholfen“ hatte. Damit die Könige, falls er bei diesem Sturm hier zugrunde ginge, eine Nachricht von seiner Reise hätten, nahm er ein Pergament und schrieb alles darauf nieder, was er vermochte, über alles, was er entdeckt hatte, und bat den, der es fände, es den Königen zu überbringen. Dieses Pergament wickelte er in ein Stück Wachstuch, verschnürte es sehr sorgfältig, dann ließ er ein großes Holzfass bringen und steckte es hinein und ließ es ins Meer werfen.

Kolumbus überlebte den Sturm und konnte Königin Isabella und König Ferdinand von Spanien persönlich Bericht erstatten. Seine Meerespost von der Entdeckung einer neuen Welt wurde bis heute nicht gefunden. Den verkorkten Mitteilungen des Evelyn Baldwin war dieses Schicksal nicht beschieden. 1949, viereinhalb Jahrzehnte nachdem er die Flasche abgeschickt hatte, entdeckten sowjetische Fischer im Eis der Arktis seinen Hilferuf: „Five ponies and 150 dogs remaining. Desire hay, fish and 30 sledges. Must return in August. Baldwin“.

Ebenso wie die des Columbus fand auch Baldwins Expedition lange vor Auffinden der Flaschenpost ein gutes Ende. Nichts ist hingegen über das Schicksal der japanischen Schatzsucher bekannt, die auf einer Insel des Großen Barriereriffs gestrandet waren. Erst vor kurzem, 150 Jahre zu spät, wurde ihr Hilferuf an die japanische Küste gespült.

Nur noch vom Untergang des im Atlantik vermissten Dampfschiffes „Huronian“ im Jahre 1902 konnten zwei Flaschenposten zeugen, von der die erste Nova Scotia an der kanadischen Küste nach fünf Monaten, die zweite Nordirland nach fünf Jahren erreichte. Im Jahre 1915 versenkte ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff „Lusitania“ vor der irischen Küste. Fast 1.200 Menschen kamen ums Leben. Später sind zwei Flaschenposten, die von der Katastrophe künden, an der Küste Cornwalls und in der Nordsee gefunden worden.

Aber nicht nur der unglückliche Schiffbrüchige, sondern auch Finder einer Flaschenpost mussten bisweilen um ihr Leben fürchten. Noch im England von Königin Elisabeth I. (1533 – 1603) war es nur dem „Official Uncorker of Bottles“ erlaubt, eine Flaschenpostbotschaft zu öffnen. Mit dem Tode bestraft werden sollte daher ein Fischer, der bei Dover eine Flaschenpost mit geheimdienstlichen Inhalt gefunden und entkorkt hatte. Sie war von einem britischen Kriegsschiff für die Admiralität ins Meer geworfen worden, um die Annektion der russischen Arktisinsel Nowaja Semlja durch die Niederlande in die Heimat zu melden. Der Fischer wurde schließlich begnadigt, weil er glaubhaft nachweisen konnte, dass es ihm unmöglich gewesen sei, Geheimnisverrat zu begehen: Er war des Lesens gar nicht mächtig. Erst zweihundert Jahre später wurde das Amt des Königlichen Flaschenöffners abgeschafft.

Ausgerechnet diesem Spielball der Wellen und des Zufalls stand zu jener Zeit eine steile Karriere als Instrument exakter, empirischer Wissenschaften bevor. Im Jahre 1784 machte Berhardin de Saint-Pierre in einem Buch den Vorschlag, Flaschenposten gezielt zur Strömungsbestimmung einzusetzen. Er rief die Seefahrer dazu auf, ihre leer getrunkenen Schnapsflaschen mit Zetteln zu füllen und gut verschlossen über Bord zu werfen. In der Frühzeit der Ozeanografie wurde die Flaschenpost zu dem Instrument der Strömungsmessung. Bereits 1802 wurden die ersten Flaschenposten zur Erforschung des Golfstromes eingesetzt. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts führte die Frage, ob Flaschen mit dem Winde oder mit dem Strome treiben, in England zu heftigem Streit.

Nicht leichter wurde die Lösung dieses Problems durch „eines der merkwürdigsten Vorkommnisse, die die Flaschenpostversuche aufweisen“, wie die Marine-Rundschau von 1898 bemerkte. Am 24. Februar 1893 wurden vom deutschen Dreimastschoner „Dona Evelina“ zwei Flaschen mitten im Atlantik auf Äquatorhöhe gleichzeitig ausgesetzt. Die eine wurde nach 196 Tagen an der Küste Sierra Leones gefunden, die andere aber in die entgegengesetzte Richtung nach 377 Tagen an Nicaraguas Ostküste getrieben.

In Hamburg war es der Lehrer Georg Ritter Balthasar von Neumayer, der das Wort „Flaschenpost“ prägte und als eigentlicher Begründer der deutschen Flaschenpostforschung gelten kann. Er unterbreitete der Deutschen Seewarte, Vorgänger des Hamburger Bundesamtes für Seeschifffahrt, den Vorschlag, seetechnische Daten per Flaschenpost zu errechnen. Hinter all dem Bemühen um exakte Wissenschaft ließ sich aber auch bei von Neumayer nicht ein „eigenes Gefühl“ verleugnen, das ihn überkam, wenn er „die wohlverkorkte Flasche im Strudel des Kielwassers herumwirbeln sieht, wenn man vom höchsten Punkt des Deckes aus ihr ängstlich mit dem Auge folgt, bis ihr schwarzer Hals hinter dem entfernten Wellenberge verschwindet. Ob sie wohl wieder gefunden, ob sie die ersehnte Nachricht zur Bereicherung der Wissenschaft verkünden wird“?

Ab 1887 gab die Seewarte den Kapitänen der deutschen Handelsschiffe Vordrucke für Flaschenposten mit auf die Reise, die sie auf vorher bestimmten Längengradpositionen über Bord werfen sollten. Die Finder der Flasche wurden „ergebens ersucht“, sie unter Angabe des Datums und des Fundorts an die Seewarte zurückzusenden. In vier Bänden wurden die Strömungsmessdaten festgehalten. So mancher Strecken- und Geschwindigkeitsrekord ist dort verzeichnet. So wurde am 14. Juli 1864 eine Rumflasche mit Messdatenzettel bei den Falklands von Bord des Segelschiffs „Norfolk“ geworfen. Drei Jahre später wurde sie an Australiens Küste aufgelesen. Sie legte ihre 8.524 Seemeilen lange Reise mit rund acht Seemeilen pro Tag zurück.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg besitzt heute mit rund sechshundert dieser Flaschenpostbriefe eine weltweit einzigartige Sammlung. Hüter dieses Meeresschatzes war der Meteorologe Günter Heise. Er weiß um die Unwägbarkeit dieser Postart. „Eine Flaschenpost kann theoretisch zehnmal die Erde umrunden, ohne gefunden zu werden.“

Heute verlassen sich die Ozeanografen daher lieber auf satellitengestützte Navigationssysteme. Das Prinzip „Flaschenpost“ ist dabei dennoch aktuell. Denn heute sind es frei driftende Bojen, die mit Sender ausgestattet unablässig ihre Positionen und Daten über Strömungsverhältisse an Satelliten schicken. Anwendung findet die klassische Flaschenpostuntersuchung aber auch heute noch bei lokalen Forschungen im Küstenbereich, da sie sich als eine einfache und billige Methode zur Simulation der Ausbreitung von Schadstoffen an der Wasseroberfläche erwiesen hat.

Allerdings wird von besorgten Wissenschaftlern bemerkt, dass es sich bei groß angelegten Flaschenpostuntersuchungen im Grunde ebenfalls um eine Verschmutzung der Meere und Küsten handele, was dazu führe, dass Flaschenpostuntersuchungen auf immer weniger Akzeptanz bei der Bevölkerung stoßen.

Ungewiss ist die Akzeptanz einer modernen Flaschenpost, die die amerikanische Raumsonde Voyager seit 1977 über die Grenzen unseres Sonnensystems weiterträgt. Darin enthalten sind Botschaften für mögliche außerirdische Zivilisationen: Geräusche der Erde, Mozarts Musik – und grafische Informationen, die für jede nur denkbare Intelligenz als entschlüsselbar gelten. Ende ungewiss.

Ein letztes Happy End zum Schluss. Neulich fand die Urlauberin Lana Sachno, 37, aus Prag am holländischen Strand eine verkorkte Flasche, darin einen SOS-Liebesruf, den der Brite Karl McGuinness, 39, ins Meer geworfen hatte. Vier Monate später feierten beide Hochzeit!

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