■ WTO-Beitritt: China will mit dem Westen ins Geschäft kommen: Verdeckte Friedenserklärung
Einer der größten und in seinen Folgen unüberschaubarsten Fehler des Kosovo-Krieges war die fünffache Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad. Jetzt hat der Westen die einmalige Chance, diesen Fehler wieder gutzumachen. Unter dem Schutz einer bellizistischen Anti-Taiwan-Propaganda hält Chinas Partei- und Staatschef Jiang Zemin dem Westen die ausgestreckte Hand entgegen. Peking möchte in die Welthandelsorganisation WTO aufgenommen werden, und nur Washington und Brüssel haben den Aufnahmebedingungen noch nicht zugestimmt. Aber es gibt bereits ein Kompromisspapier, dem die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright im April ihren Segen erteilt hat. Schlagt ein, sagt Jiang heute zum Westen, und wir haben den Kalten Krieg des Sommers hinter uns.
Jiang braucht die WTO-Aufnahme so dringend, weil er einer durch die Nato-Bomben gedemütigten Parteiführung endlich wieder einen Erfolgsnachweis seiner Öffnungspolitik zum Westen erbringen muss. Außerdem ist der WTO-Beitritt in chinesischen Augen unzertrennbar mit dem Namen von Premierminister Zhu Rongjis verknüpft, Jiangs wichtigstem Verbündeten. Scheitert die WTO-Aufnahme, ist Zhu auf Dauer angeschlagen. Sein marktwirtschaftlicher Reformkurs könnte aus dem Gleis geraten. Der Westen sollte deshalb die Gunst des Stunde nutzen und das chinesische Angebot annehmen. Zumal ein Einlenken jetzt der einzige Weg zu sein scheint, die einst von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Aussicht gestellte „restlose Aufklärung“ des Botschaftszwischenfalls elegant zu umschiffen. Tatsächlich sind zahlreiche chinesische Detailfragen – etwa weshalb exakt die Residenz des Botschafters und die Radaranlagen getroffen wurden, wenn der Nato doch angeblich falsche Stadtpläne und gar keine Hauspläne vorgelegen hätten – bis heute unbeantwortet.
Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass der WTO-Beitritt für China unter Umständen große Gefahren birgt. Teile des Binnenmarktes könnten unter dem Druck internationaler Konkurrenz zusammenbrechen. Doch die Entscheidung zwischen den Vor- und Nachteilen der Globalisierung kann Peking nur selbst treffen – und sie ist gefallen. Bis zum nächsten Treffen zwischen Jiang und dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton verbleiben nur noch drei Wochen Zeit, um sie umzusetzen. Angesichts dessen müssen auch die Europäer schnell handeln, bevor der Zug in Peking wieder in die andere Richtung abfährt.
Georg Blume
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