Tiefe Risse im historischen Bündnis

■ Südafrikas Gewerkschaft Cosatu legt sich mit dem ANC an und lässt es im öffentlichen Dienst auf einen Machtkampf ankommen

Auch wenn die Fragen der „revolutionären Disziplin“ gelöst werden können, werden die Streitigkeiten weitergehen

Johannesburg (taz) – Das Bild war symbolträchtig. Vor dem Rednerpult auf einem Sonderkongress des südafrikanischen Gewerkschaftsverbandes Cosatu lag ein Haufen roter Schirmmützen. Hunderte von ärgerlichen Gewerkschaftern hatten die eigens für den Kongress bestellten Kopfbedeckungen dorthin gefeuert, weil sie nicht in Südafrika, sondern in China hergestellt worden waren. Das weckte nicht etwa sozialistische Solidarität, sondern den Zorn der Textilarbeitergewerkschaft, die den heimischen Markt gegen Billigimporte aus dem fernen Osten schützen will.

Auch sonst ging es auf der dreitägigen Veranstaltung in der Nähe von Johannesburg stürmisch zu. Erstmals wurden deutliche Risse in dem historischen Bündnis aus der ehemaligen Befreiungsbewegung und heutigen Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC), dem Gewerkschaftsverband und der Kommunistischen Partei (SACP) sichtbar.

Alle drei bilden noch immer die sogenannte Dreiparteien-Allianz und stellten bei den letzten Wahlen am 2. Juni gemeinsame Kandidatenlisten auf. Personell sind sie noch immer eng verzahnt: Viele Minister sind auch Mitglied der SACP, viele der Mitglieder des ANC kommen ursprünglich aus der Gewerkschaftsbewegung. Doch in der Sache sind sich die Partner längst nicht mehr einig und kritisieren sich gegenseitig außerordentlich scharf.

Schon in der Eröffnungsrede am Mittwoch, die an Präsident Thabo Mbekis Stelle der ANC-Vorsitzende Terry Lekota hielt, wurden die Weichen gestellt für künftige Auseinandersetzungen. Es werde immer mehr zur Mode, den ANC öffentlich zu kritisieren, anstatt dies hinter geschlossenen Türen zu tun. „Das ist ein Mangel an revolutionärer Disziplin“, hielt Lekota den mehr als 2.000 Genossen vor.

Redner von Cosatu konterten heftig und lehnten erneut das liberale Wirtschaftsprogramm des ANC ab, das nur noch wenig mit den marxistischen Wurzeln der Bewegung zu tun hat. Auch die Privatisierung der vielen staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen aus der Apartheid-Zeit, die Mbeki nun endlich vorantreiben will, stößt bei Kommunisten und Gewerkschaftern auf einhellige Ablehnung.

Der größte Konflikt allerdings hatte seine Schatten schon auf den Cosatu-Kongress vorausgeworfen. Der noch immer hoffnungslos aufgeblähte öffentliche Dienst hat es auf eine Kraftprobe mit der Regierung angelegt und ist auf Grund der festgefahrenen Verhandlungen über Lohnerhöhungen schon seit Wochen immer wieder im Warnstreik. Während die Gewerkschaften eine Anhebung von rund 7 Prozent fordern, ist die Regierung wegen knapper Kassen lediglich zu 6,3 Prozent bereit.

SACP-Generalsekretär Blade Nzimande brachte das Dilemma der Dreier-Allianz in seiner Rede auf den Punkt: „Die politische Herausforderung für die Gewerkschaften liegt darin, wie sie einerseits die Regierung unterstützen können, ohne andererseits die legitimen Interessen ihrer Mitglieder zu opfern.“ Zugleich warnte er Cosatu jedoch davor, es zum Bruch kommen zu lassen.

Langfristig allerdings, das wissen die Führungsgremien nur zu gut, wird die Allianz nicht aufrechtzuerhalten sein, sollte sich ein wirklich pluralistischer Staat ausdifferenzieren. Vorerst aber braucht der ANC angesichts einer Arbeitslosenquote von über 30 Prozent die Gewerkschaften, um Wählerstimmen zu binden und unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen; Gewerkschaften und KP ihrerseits möchten ihren Einfluss auf die ANC-Politik über ihre Parlamentssitze nicht aufgeben.

Um Schadensbekämpfung zu üben, hat man deshalb erst einmal ein Krisentreffen mit dem ANC anberaumt. Doch auch wenn die Fragen der „revolutionären Disziplin“ gelöst werden können, werden die Streitigkeiten weitergehen.

Schon die neue Cosatu-Führung macht die künftige Marschrichtung klar. Zum neuen Präsidenten wurde der Vorsitzende des Lehrerverbandes, Willy Madisha gewählt, den bisherigen Generalsekretär Sam Shilowa löst Swelinzima Vavi ab.

Waren früher die Bergarbeitergewerkschaften der mächtigste Block innerhalb Cosatus, ist es heute der öffentliche Dienst. Den Staatsangestellten wurde gestern auch gleich ein Solidaritätsvotum erteilt: Ein für die kommende Woche anberaumter Generalstreik der Angestellten des öffentlichen Dienstes findet die volle Unterstützung des Gewerkschaftsverbandes Cosatu. Kordula Doerfler