Mütter wissen auch nicht alles

■ Man muss über sein Schicksal auch lächeln können: Die zweite „Wolfgang-Borchert-Woche“ im Literaturforum im Brecht-Haus

Draußen lärmen Straßenbahnen vorbei, und drinnen sind die harten Stühl so eng zusammengestellt, dass sich einem die Knie des Hintermanns in den Rücken bohren: Der karge „Kleine Saal“ im Erdgeschoss des Brecht-Hauses ist nicht gerade gemütlich. Allerdings eignet er sich gut für die Beschäftigung mit einem Autor wie Wolfgang Borchert.

Hat der 1947 verstorbene Borchert nicht hauptsächlich über Not und Elend geschrieben? Einmal lässt er zwar eine Fliege in einer Gefängniszelle sagen: „Man muß über sein Schicksal lächeln können, dann entdeckt man, daß das Leben viel eher Komödie als eine Tragödie ist“ – aber zumeist dreht es sich bei ihm doch um Selbstmörder, hungrige Senioren und Kriegsheimkehrer.

„Wir hatten das Gefühl, dass unser Programm von erschreckender Aktualität ist“, sagt Therese Hörnigk, die Geschäftsführerin des Brecht-Hauses. „Borchert ist ein aktueller Autor. Irak, Bosnien, Kosovo – am Ende des 20. Jahrhunderts stehen seine Fragen nach Verantwortlichkeit und Moralität in Kriegszeiten wiederum zur Diskussion.“ In der letzten Juliwoche ging es im Literaturforum um „Draußen vor der Tür“, das Stück über den Frontheimkehrer Beckmann, das Borcherts Ruhm als Vertreter der „Trümmerliteratur“ und Sprecher einer ganzen Generation begründete.

Außerdem hielt der luxemburgische Borchert-Forscher Alexandre Marius Baron Dèes de Sterio einen Vortrag über Borcherts Jugend: Das Bild, das sich die Nachwelt von Borchert macht, sei vor allem von seiner Mutter geprägt worden – „Mütter wissen aber auch nicht alles“.

Zwar feierte Borchert durchaus Jazz-Parties im feinen Hamburg-Blankenese, doch bei Weitem habe er sich nicht so hemmungslos besoffen, wie seine Mutter dachte. Da für seien ihm Literatur und Theater viel zu wichtig gewesen.

In der heute beginnenden zweiten Borchert-Woche gibt es nun im Brecht-Haus eine Ausstellung von Fotos, Grafiken, Programmen und Büchern zu Wolfgang Borchert. Am Montag zeigt man Kurzfilme, die in der DDR entstanden sind, aber nicht aufgeführt werden konnten, da sie nicht dem gängigen Borchert-Verständnis entsprachen. Mit den Filmemachern Wolfgang Küper, Dietmar Schürtz und Michael Blume kann dann am Dienstagabend diskutiert werden.

Am Mittwoch stellt Marianne Schmidt ihr neues Buch „Zwischen Langemarck und Stalingrad – Toller und Borchert“ vor, das die Bilder des „modernen Krieges“ in Literatur, Theater und Film behandelt. Für Donnerstag ist eine Lesung aus den frühen Prosa-Stücken Borcherts geplant, unter anderem die Erzählung „Schischipusch“.

Für den Abschlussabend am Freitag stehen weitere Lesungen aus Borcherts Werk, Diskussionen mit Forschern und Künstlern und ein Video-Porträt Borcherts auf dem Programm. Martin Ebner

Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte, Beginn jeweils 20 Uhr