: Music on demand
■ Oder die Angst vor dem Internet: Die Musikindustrie hofft auf der Popkomm auf ein Unrechtsbewusstsein unter jungen CD-Brennern
Köln, wie es singt und lacht, the same procedure as every year. Es ist Popkomm. In den S-Bahnen sitzen zu viele Menschen mit der schwarzen Messeplastiktasche. Sie sehen wichtig aus, jung geblieben, egal, wie alt sie sind. Tags läuft man sich in den Messehallen die Füße taub, und abends stellt man sich vor überfüllten Clubs in die Schlange, für ein Konzert, das man zu Hause vielleicht verpassen könnte. Das gleichzeitig stattfindende Ringfest verstopft die Stadt mit Open Airs. Am Wochenende kommen Hunderte in Schüben aus den Zügen. Befreundete Alteingesessene meinen, selbst Karneval fänden sie jetzt besser als das. Auf dem Domplatz tummeln sich besoffene Teenager. Ein diffuses Zusammengehörigkeitsgefühl stellt sich ein – etwas, das es außer auf der Love Parade nur in so stockkatholischen Städten wie Köln zu geben scheint. Alles wie immer, und doch weht ein anderer Wind.
Am Anfang der Messe steht eine bezeichnende Veranstaltung. Der WDR präsentiert eine neue Sendereihe, Pop 2000, einen Rückblick auf 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur in Deutschland, der ab Mitte September anlaufen wird. Alle sind gekommen. Man macht lange Hälse. Da hinten zeigt sich Herbert Grönemeyer, weiter links der Rebell vom Dienst, Campino von den Toten Hosen. In so genannten „Appetizern“ werden Doku-Fetzen über Deutschlands Pop- und Alltagskultur kredenzt, historische Aufnahmen von Bands, Werbeclips, Interviews mit Aktivisten und Zeitzeugen. „Lustig sein, nicht enzyklopädisch“, das ist dem Macher der Reihe, Stefan Kloos, gelungen: lauter rasante Schnitte, reißerische Gags. Das Haar in der Suppe: In der Werbebroschüre heißt es, es gehe bei Pop 2000 um „Errungenschaften, welche die Nation bewegten“. „Es geht ein Ruck durch Deutschland“, tönt es dämlich in der Folge über die Gegenwart. Immer mehr Musik aus deutschen Landen bedient sich deutscher Texte. Wir sind wieder wer, klingelt es im schönsten Wirtschaftswunder-Vokabular.
Wieder draußen in der Hölle, auf dem freien Markt, in den unendlichen Weiten der Messehallen, ist es gar nicht so einfach, nicht am schrecklichsten Stand vorbeizukommen: Die Technozeitschrift Raveline nimmt heuer vorlieb mit blauweißem Bierzeltambiente, hinten bedienen dicke Damen in Dirndln, vorne üben sich rotwangige Gäste, in einen Holzblock Nägel zu treiben. Es ist Freitagnacht. Wie üblich kommt der bescheidene Besucher mit schnödem Popkomm-Ausweis in kaum eins der proppenvollen Konzerte rein. Man gibt auf. Währenddessen feiern die „Reichen und die Blöden“, wie es ein Kollege formuliert, die fünfte Comet-Preisverleihung. Westernhagen, „Ich bin wieder hier“, sticht beim Preis für das beste Konzert Depeche Mode aus. Xavier Naidoo wird bester nationaler „Act“. Doch auch der nimmt – wie zwei Jahre zuvor Tocotronic – den Preis nicht an, das heißt, er nimmt ihn eigentlich doch an, „in Demut“, und lässt ihn flugs vom Bodyguard wegtragen. „Deutschland braucht sich nicht zu verstecken“, quaken selbst „Küsschen! Küsschen!“-Viva-Moderatorinnen, als es um die Verleihung für das beste deutsche Video geht.
Tags darauf: ein Kongress über deutsche Filmmusik. „Klein, aber fein“ müsse es hier zugehen, „bloß nicht immer nach Hollywood schielen“, erklärt Petra Husemann-Renner, Hauptverantwortliche für einen neuen Kurzschluss zwischen Platten- und Filmindustrie: X-Music. „Lola ist in den Staaten allgegenwärtig“, zieht Henning Wehland, Regisseur des nächste Woche anlaufenden neuen deutschen Films „Bang Boom Bang – ein todsicheres Ding“, den Hut vor seinem Vorbild Tom Tykwer. „Hierzulande zählt eher Qualität als Glamour.“
Deutsche Wertarbeit ist das Zauberwort dieser Tage, das die rückläufigen Umsatzzahlen in der deutschen Musikindustrie schönreden will. Liegt doch Bedrohliches in der Luft. Es heißt Music on demand. Tim Renner, inzwischen Subchef bei Universal, Kämpfer für die Credibility großer Marken bei Teilszenen, bricht eine schwer moralische Lanze für die Schaffung eines Unrechtsbewusstseins bei jungen CD-Brennern. Vor allem die Piraterie im Internet ist ihm ein Graus – Leute, die sich umsonst herunterladen, wonach ihnen gerade der Sinn steht.
Am besten hält man den Höllenlärm in den Hallen aus, indem man sich alkoholunterstützt von Messestand zu Messestand hangelt und sich mit einem Salat aus drei Salatblättern für 22,50 Mark stärkt. Obwohl die Popkomm auch für Aussteller die teuerste Messe ist, stößt man noch immer auf die eigentlichen Erfinder der Popkomm, auf okaye Labels, auf alte Kämpfer für die Unabhängigkeit in dieser oligopolen Landschaft. Paradoxerweise geht es hier weit weniger apokalyptisch zu als nebenan. Einer der vor allem bei den Indies anerkannten Vertriebe im Internet ist mov.a.bit, ein ambitioniertes Projekt; jede Platte, die man sich auch titelweise herunterziehen kann, ist hier professionell besprochen. Auf ihrer Site wird mit Liquid Audio gearbeitet, einer Software, die – anders als MP 3 – durch eine Art Wasserzeichen Raubkopien unmöglich macht. Möglicherweise eine Erfindung, der sich auch die „Großen“ bald bedienen werden.
Nicht nur die unzähligen Anbieter von Music on demand, auch Freie Software, Online-Agenturen, kostenlose Lizenzierungs- und Buchführungsprogramme sprechen dafür: Hier herrscht eine Aufbruchstimmung der anderen Art. Doch schon bald werden Tim Renner und Konsorten eine Lobby für die Vervielfachung des Preises für CD-Rohlinge gründen. Die Käufer werden sich nicht mehr die Mühe machen, lange zu suchen und zu surfen, sondern gleich dorthin gehen, wo es alles gibt. Noch ist der Markt für Music on demand aber in den Händen Vieler. Vielleicht gibt es ja in fünf Jahren schon wieder eine neue Technik, auf die sich zuerst die Beweglichen einlassen.
Und schließlich gibt es noch einen kleinen Streif am Horizont der Popkomm-Gerüchteküche: In Kreisen der ehemaligen Hamburger Schule wird getuschelt, dass es hier, jenseits von Perlweiß und gottesfürchtigem Instantsoul aus hessischen Ghettos, bald einen neuen Trend gebe. Man hat die Schnauze voll vom neuen deutschen Selbstbewusstsein. Die Avantgarde der deutschen Texter, heißt es, wird bald wieder auf Englisch singen. Susanne Messmer
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