Abschied vom guten alten Sonntag

■  Das Ladenschlussgesetz bewegt Kirche, Kanzler und Konzerne. Wirtschaftsminister stellt Überlegungen an, Oberhirten brüten über Text und die Bürger sind in Umfragen dafür

Berlin (dpa/taz) – Wenn es um den Einkaufsbummel am Sonntag geht, wird der Kanzler besinnlich. „Da haben wir eine andere Tradition als viele Länder um uns herum“, sagte Gerhard Schröder gestern. Gleichwohl ruft er in seinem Wort zum Sonntag nicht zu Einkehr und Buße auf. „Als ehemaliger Einzelhandelskaufmann weiß ich, dass man die Konkurrenz durch die neuen Einkaufsmöglichkeiten im Internet oder Teleshopping nicht aus den Augen verlieren darf.“ Und deswegen habe er noch aus seinem Urlaub heraus den Bundeswirtschaftsminister gebeten, mit allen Betroffenen einen neuen Vorschlag für das Ladenschlussgesetz auszuarbeiten. Wann diese Vorlage auf den Markt kommen wird, ist noch ungewiss.

Die Geschäfte in der Leipziger Innenstadt jedenfalls öffneten gestern vorläufig zum letzten Mal ihre Türen am Sonntag. Die Stadt wird in dieser Woche alle 578 Einzelgenehmigungen widerrufen, nachdem das Oberverwaltungsgericht in Bautzen die generelle Öffnung am Sonntag für rechtswidrig erklärt hatte. Auf dem Berliner Kurfürstendamm lebten Hunderttausende Kaufwillige ihren Rausch aus. Drei Tage lang feierten 2,5 Millionen Menschen die 11. Europarty. Etwa 100 Geschäftsinhaber durften das gesamte Wochenende über offenhalten. Die Händler seien mit dem Umsatz zufrieden, vermeldet die Arbeitsgemeinsachaft City. Nur das KaDeWe, das größte Kaufhaus im Westen, macht aus Rücksicht gegenüber dem Betriebsrat nicht mit beim Fest. Wohl auch, weil die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) zu keinem Kompromiss im Streit bereit ist. Deren stellvertretender Bundesvorsitzender Hubert Gartz sagte: „Wir wollen auf jeden Fall die Sonn- und Feiertagsverkäufe verhindern, aber auch einer Spätöffnung einen Riegel vorschieben.“ Er appellierte an die „Vernunft und Solidarität“ aller Verbraucher. „Man kann jede Mark nur einmal ausgeben – und dazu reichen 80 Stunden in der Woche“, sagte Gartz. Er bemängelte, dass die längeren Öffnungszeiten unter der Woche nicht zu neuen Arbeitsplätzen, sondern zu 130.000 abgebauten Stellen im Einzelhandel geführt hätten.

Auch die katholische Kirche will aus dem Ladenschlussgesetz eine heilige Kuh machen. Heute wollen die Bischöfe in Würzburg erste Überlegungungen anstellen mit einem „Text zum geheiligten Sonntag“. Das Papier wird für September erwartet.

Dass es vorbei ist mit dem guten alten Sonntag, glauben die Berliner nur all zu gut zu wissen. In einer Forsa-Umfrage sprachen sich 54 Prozent für den verkaufsoffenen Sonntag aus, bundesweit ermittelten die Meinungsforscher eine Zustimmung von 42 Prozent. Dieses Ergebnis freut die FDP. Deren Vorsitzende Wolfgang Gehrhardt ist der Ansicht, die Länder sollten selbst über den verkaufsoffenen Sonntag entscheiden. Der Bund werde zur Klärung dieser Frage nicht benötigt. roga