■ Streit um Roma und Kosovaren sorgt im Süden Englands für heißen Sommer

Berlin (taz) – Sie kamen illegal durch den Kanaltunnel, und dann war Endstation. Um die Grenzkontrollen zu umgehen, hatten manche von ihnen eine Zeit lang zu einem simplen Trick gegriffen: Sie kauften in Paris zwei Fahrkarten – eine nach Calais und eine nach London. Auf der französischen Seite zeigten sie die erste Karte und mussten sich daher nicht ausweisen. Auf der britischen Seite zeigten sie den zweiten Fahrschein, und die Beamten gingen davon aus, dass man sie schon kontrolliert hatte.

Inzwischen soll das Schlupfloch an der Grenze gestopft sein. Aber trotzdem sitzen nun etwa 5.000 Asylsuchende aus dem Kosovo, Kurdistan, Somalia, Afghanistan und anderen Krisengebieten in der südostenglischen Grafschaft Kent fest. Eigentlich wollten sie in London untertauchen – aber um zu Status und Geld zu kommen, müssen sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten.

Von käuflichen slowakischen Roma-Frauen, die die Rotlichtpreise verderben, bis zu massivem Ladendiebstahl reichen die Geschichten, die nun in Hafenstädten wie Dover und Folkestone die Runde machen. Dover – 25.000 Einwohner, davon 900 Flüchtlinge – erlebte am vorletzten Freitag die Konsequenz: Flüchtlinge und einheimische Jugendliche gingen mit Messern aufeinander los, es gab elf Verletzte.

Südostenglands kleine Hafenstädte sind die große weite Welt nicht gewohnt – sie waren nie Zentren des Überseehandels, anders als London oder Liverpool. „Das Gebiet hat kaum eine Vorgeschichte multikultureller Vielfalt“, schrieb der Regierungschef von Kent, Sandy Bruce-Lockhart, Anfang August in einem Brief an die Zentralregierung. „Die Leute vor Ort fühlen sich zunehmend 'überrannt‘ und verbittert, und dies führt zu zunehmender Konfrontation.“ Auch Flüchtlingsgruppen warnten schon vor dem Gewaltausbruch in Dover vergeblich vor einer explosiven Stimmung.

Der Vorwurf von allen Seiten: Die Mühlen der britischen Asylbürokratie mahlen viel zu langsam. Vier Jahre beträgt die gegenwärtige Wartezeit bis zum ersten Antragsgespräch. Bis dahin bleiben die Flüchtlinge in der Obhut der Grafschaft. Die muss sie auf eigene Kosten unterbringen und gibt ihnen Verpflegungsgutscheine im Wert von umgerechnet etwa 100 Mark in der Woche. Bei 5.000 Flüchtlingen ist das viel Geld, das die Grafschaftsverwaltung von ihren Steuerzahlern wieder hereinholen muss. Deren Reaktion brachte schon letztes Jahr die Lokalzeitung Folkestone Herald & Dover Express auf den Punkt: Hier sammle sich „der Abschaum der Erde“ an, schrieb sie: „Und wir haben kein Geld, um ihn wegzuspülen.“

Die britische Regierung aber zeigt, wie bereits bei dem Streit um eingeflogene Kosovo-Albaner im Frühjahr, wenig Initiative bei der Gegenfinanzierung der Flüchtlingsunterbringung. Nur wenige Flüchtlinge wurden bisher aus Kent in andere Landesteile verlegt. Die Regierung setzt lieber auf ihre Asylrechtsreform, die weniger Flüchtlinge ins Land lassen wird.

Erst einmal werden es mehr. 1998 kamen 46.000 Asylbewerber nach Großbritannien, für 1999 werden 68.000 erwartet – ein Rekord. „Das System ist nicht überfordert“, kommentierte Innenminister Jack Straw diese Zahlen am Wochenende. Das denkt aber nur er.

Straw hatte sich letzte Woche schon einmal in die Nesseln gesetzt, als er im BBC-Rundfunk von „kriminellen“ Roma schwadronierte. „Viele dieser so genannten Fahrenden scheinen zu denken, dass es völlig in Ordnung ist, in einer Gegend Chaos anzurichten, zu stehlen und zu rauben, Autos zu knacken, in Firmeneingänge zu scheißen und so weiter“, so der Minister.

Das entfachte einen Proteststurm. Gestern von der BBC erneut befragt, bekräftigte Straw aber seine Ansichten. Mit Rasse habe das „nichts zu tun“, verteidigte er sich: in Wahrheit seien unter den Fahrenden Kriminelle, die sich als Roma ausgäben, aber keine seien.

Da unter den neu einreisenden Flüchtlingen in Großbritannien besonders viele Roma sind, fallen Straws Bemerkungen möglicherweise auf fruchtbaren und gefährlichen Boden. Britische Zeitungen sind bereits voll von Berichten, wie Roma aus dem Kosovo sich immer noch massenweise in Frankreich sammeln, um nach England zu kommen. Von Reportern befragt, erklären sie, dass sie zuerst von serbischen und dann von französischen Polizisten misshandelt worden seien und nur noch wegwollten.

Dominic Johnson