■ Das Porträt
: Freiwillig ins Gefängnis

BU: Castor-Gegner Gerald Neubauer Foto: privat

Im Knast will Gerald Neubauer (24) auf jeden Fall an seiner Hausarbeit für Soziologie weiterarbeiten. Titel: „Der Kapitalbegriff bei Karl Marx“. Der Student aus Verden hat dafür 39 Tage Zeit, dann hat er seine Strafe abgesessen. Außerdem muss er allerdings auch arbeiten, Zettelkleben, acht Stunden am Tag.

Gerald Neubauer geht heute freiwillig in den Knast, in das „Kurzzeitstrafengefängnis“ JVA Verden bei Bremen, um eine Geldstrafe von 800 Mark abzusitzen statt zu zahlen. Neubauer hat als Protest gegen die Castor-Transporte im März 1996 fünf Schottersteine aus dem Gleisbett vor dem AKW Grundremmingen entfernt. Im Dezember 1997 würdigte der Richter bei der Hauptverhandlung zwar Neubauers Plädoyer gegen die Atomkraft mit den Worten, dass er und seine Freunde die Gesetze nur übertraten, weil sie eine „nach ihrer Meinung nicht anders erreichbare Aufmerksamkeit für ihr Anliegen erzielen wollten“, verdonnert hat er Neubauer aber doch, wegen „versuchter Zerstörung von Bauwerken“, zu 40 Tagessätzen à 20 Mark. Eine Berufung wurde zurückgewiesen, das Urteil bestätigt. Zu pfänden gibt es nichts bei Neubauer, der in einer Wohngemeinschaft lebt. Einen Tag bezahlten Atomgegner bundesweit mit der Überweisung von Pfennigen. Mehr war nicht drin: „Die Strafe zu bezahlen käme einem Eingeständnis der Verwerflichkeit unserer Aktion gleich“, sagt er, „da ich aber überzeugt bin, dass der Widerstand gegen die lebensverachtende Atomindustrie legitim ist, bezahle ich nicht.“ Kaum ist er dann am 2. Oktober wieder raus, droht ihm Erzwingungshaft. Noch sind nämlich die Gerichtskosten von rund 530 Mark nicht bezahlt, und die will er auch nicht bezahlen. Weitere Protestaktionen schließt Neubauer nicht aus, aber auf regelmäßige Haftzeiten legt er es nicht an. Eventuellen beruflichen Konsequenzen steht er gelassen gegenüber: „Ich will sowieso als Soziologe zu Protestbewegungen arbeiten, da ist das eher förderlich.“

Während der Zeit im Gefängnis wird er Besuch von seiner Unterstützergruppe „Ungehorsam ins Gefängnis“ bekommen und von Freunden. Die Eltern leben nicht mehr, seine Schwester wird wohl nicht kommen. „Die findet das schon ein bisschen schräg“, sagt er. Außerdem erwartet er Post: Die Atomkraftgegner suchen 50 Menschen, die ebenfalls Knast für ihre Überzeugung riskieren wollen und ihm das schreiben. „Ich fühl mich gut“, sagte er gestern. Maike Rademaker