Der Schweizer Hauptmann von Köpenick

■ Viel Nebel, unbeantwortete Fragen und Medienspekulationen in der Affäre um ehemaligen Buchhalter des militärischen Nachrichtendienstes der Eidgenossen

Genf (taz) – Spielte Dino Belassi eine zentrale Rolle im vielleicht größten Geheimdienstskandal der Schweizer Nachkriegsgeschichte? Oder war der ehemalige Buchhalter beim militärischen Nachrichtendienst, der am 13. August unter dem Vorwurf der Unterschlagung von 8,6 Millionen Franken (10,3 Mio. Mark) verhaftet wurde, nur die eidgenössische Variante des Hauptmanns von Köpenick?

Am Montagabend ließ der 39-jährige Belassi durch seinen Anwalt verbreiten, der bisherige Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Peter Regli, habe ihn mit der Veruntreuung der 8,6 Millionen Franken beauftragt. Mit dem Geld sollte laut Belassi ein neuer, von der Regierung unabhängiger Nachrichtendienst gegründet werden als Ersatz für die 1990 aufgeflogenen und seitdem (angeblich) aufgelösten Geheimorganisationen P-26 und P-27. Regli wurde bereits am Sonntag von Verteidigungsminister Adolf Ogi vorläufig vom Amt supendiert.

Zuvor war durch Zeitungsberichte bekannt geworden, dass Beamte der Berner Bundesanwaltschaft in der Nähe der Hauptstadt ein angeblich von Belassi angelegtes Lager mit Hunderten moderner Präzisionswaffen und Munition gefunden hatten, wie sie von Scharfschützen oder Spezialeinheiten wie der deutschen GSG 9 benutzt werden. Über fünf Jahre lang soll der 1994 aus seinem Posten als Buchhalter beim militärischen Nachrichtendienst ausgeschiedene Belassi regelmäßig von der Schweizer Nationalbank Geld abgehoben haben – für Unternehmungen von Schweizer Armeeverbänden, die tatsächlich nie stattfanden. Belassi schrieb sich die Aufträge jeweils selber aus und beglaubigte sie mit einem Dienststempel, den er vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst hatte mitgehen lassen.

Ursprünglich hieß es, Belassi habe die 8,6 Mio. Franken für private Zwecke ausgegeben. Inzwischen hat Belassi gegenüber der Bundesanwaltschaft ausgesagt, er habe 3,5 Millionen Franken ausgegeben: für den Kauf der Waffen und Munition; die Miete von Lagern und von Räumlichkeiten zur Schulung der noch zu rekrutierenden Mitglieder des geplanten neuen geheimen Nachrichtendienstes sowie für den Bau eines „sicheren“ Hauses im österreichischen Graz, das dem Nachrichtendienst als Unterschlupf und Operationsbasis dienen sollte.

Die restlichen fünf Millionen Franken will Belassi weisungsgemäß bei zwei Vorgesetzten abgeliefert haben, deren Namen der Bundesanwältin Carla del Ponte bekannt seien. Trotz dieser Vorwürfe ließ die Bundesanwältin bis gestern weder den suspendierten Nachrichtendienstchef Regli noch andere Personen festnehmen. Sie bestätigte lediglich weitere Ermittlungen auch gegen führende Vertreter der Schweizer Geheimdienstszene. Die seriösen Schweizer Medien werten dies als Indiz, dass del Ponte den Behauptungen Belassis zunächst keinen Glauben schenkt, sie bei ihren weiteren Untersuchungen allerdings berücksichtigt. Andreas Zumach