: Nicht die Hände in den Schoß legen
■ Ein Berliner Student hat einen Internet-Suchdienst für Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgebaut. Die Hotline hilft auch Erdbebenopfern in der Türkei
Christoph Kastius ist im Stress. Er hat schwarze Ringe unter den Augen und raucht Kette. Ständig klingelt sein Handy. „Ich schlafe seit Wochen nur noch vier Stunden durchschnittlich“, sagt er. Dann wendet er sich wieder seinem Laptop zu. Ein wenig erinnert der 22-Jährige an den Hacker Karl Koch aus dem Kultfilm „23“, der Informationen an den KGB verkaufte. Genauso wie Koch hat der Berliner ein schmales jungenhaftes Gesicht, ist hoch gewachsen, redet hektisch und etwas zusammenhangslos.
Christoph Kastius tippt in seinen Computer Namen ein, von Vermissten und solchen, die gefunden werden sollen. Bisher ging es hauptsächlich um Kosovo-Flüchtlinge. Doch seit dem dramatischen Erdbeben in der Türkei kann man unter der Internetadresse http://www.suchhotline.de auch nach Vermissten in der Türkei fahnden. Auf der Internetseite sucht dann zum Beispiel Christiane Appel ihre Freundin Yurdalgül Kirca, die seit vier Wochen in der Türkei lebt und sich seitdem nicht gemeldet hat. Andere haben Namen von Überlebenden veröffentlicht. Knapp 100 Anfragen gibt es bereits, täglich werden es mehr.
Angefangen hat Kastius mit seinem Suchdienst nach den ersten Nato-Angriffen auf Jugoslawien Ende März. „Ich sah die Bilder von den Flüchtlingen und fand das total schrecklich. Ich musste helfen“, sagt er. Der Medieninformatik-Student hatte schon vorher Kontakte nach Jugoslawien gehabt – er arbeitete für kurze Zeit als Journalist in Belgrad und wurde einige Tage vor den Bombardierungen ausgewiesen, weil er mit Kosovo-Albanern auf der Straße gesprochen hatte, wie er sagt.
Zurück in Berlin suchte er sich via Internet Arbeitswütige, mit denen er die Website aufbaute. Rund 20 Studenten halfen mit, flogen auf eigene Kosten nach Makedonien und nahmen die Namen von rund 1.500 Flüchtlingen aus dem Kosovo auf. Zurück in Deutschland war es etwas komplizierter, über die Hilfsorganisationen an die Daten von Flüchtlingen zu kommen – aus Datenschutzgründen. Das Rote Kreuz in der Schweiz war da kulanter.
Doch die Kriterien sind auch bei Kastius streng: Wer eine Suchanfrage stellt, muss, um Kontakt aufnehmen zu können, seinen Namen und ein Codewort hinterlassen. Wird der Gesuchte tatsächlich mit Hilfe der Datenbank gefunden, wird angeschrieben oder angerufen und gefragt, ob er den Kontakt mit dem Suchenden will. Erst werden Telefonnummern ausgetauscht – ohne Ortsangabe.
Rund 3.200 Menschen habe der Suchdienst bereits zusammengeführt, erzählt Kastius und strahlt das erste Mal etwas. Die Studenten seien mit Modem und Laptop in die Flüchtlingsheime gegangen, um den Menschen einen Zugang zum Computer zu ermöglichen. „Wir haben damit große Hoffnungen geweckt“, sagt er nachdenklich. Es habe in den Berliner Heimen jedoch nur wenige Treffer gegeben, „5 oder 6“. Während des Krieges wurde die Website täglich durchschnittlich 2.600-mal aufgerufen, momentan sind es 800-mal.
Für Kastius ist sein unbezahlter Job – mittlerweile hat er 17.000 Mark Schulden vor allen an Telefonkosten angehäuft – „Nachbarschaftshilfe“. „Die DDR hat mich geprägt“, sagt er. Die Suchhotline solle dort effektiv sein, wo die Politiker versagen. Doch eigentlich wolle er nicht politisch sein, fügt er schnell hinzu.
„Wir wollen den Menschen helfen, egal welches Verbrechen sie begangen haben“, sagt Kastius, und das klingt ein bisschen pathetisch. Auch die Websites vermitteln eine gewisse Dramatik.
Unter der Rubrik „Kriegsbilder“ sind Fotos zu sehen von verzweifelt dreinblickenden Frauen, Flüchtlingslagern und Soldaten, die in das Kosovo einmarschieren – ohne Kommentar. „Wir wollen, dass diese Bilder auf die Menschen wirken“, sagt Kastius.
Die Internetseiten haben auch Missgunst hervorgerufen: „Jugoslawische Hacker haben schon in den ersten Tagen versucht, unseren Server platt zu machen“, erzählt Kastius. Doch jetzt seien genügend Sicherheitsvorkehrungen eingebaut. Der Suchdienst arbeitet jetzt auch mit serbischen Organisationen zusammen. „Wir bekommen aus Belgrad Daten von serbischen Flüchtlingen“, so Kastius. Diese Flüchtlingswelle scheint fast wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein zu sein, im Internet bleibt sie präsent.
Julia Naumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen