US-Studie sieht Zusammenhang von Abtreibungen und sinkender Kriminalität

■ Die amerikanische Öffentlichkeit streitet heftigst über die Frage: Sind die Abtreibungen am Ende doch gut für die Gesellschaft?

Washington (taz) – Jennifer LeFlore ist im strenggläubigen Oklahoma aufgewachsen und selber tief religiös – entsprechend konservativ waren ihre Ansichten über Abtreibung. Als sie ledig Mutter wurde, war sie über den Rat ihrer Familie entsetzt. Abtreiben sollte sie. „Mein Kind zu bekommen war das beste, was mir passieren konnte“, sagt sie rückblickend, „es half mir, mein Leben auf die Reihe zu kriegen.“ Heute befürwortet Jennifer die freie Entscheidung der Frau und glaubt sogar, positive Nebenwirkungen von Abtreibungen zu erkennen. „Wenn mehr abgetrieben würde, würden weniger Kriminelle heranwachsen“, sagt sie. Dieser Tage bekam Jennifers These großkalibrige Schützenhilfe. Die beiden angesehenen Wirtschaftswissenschaftler John J. Donohue von der Stanford Law School und Steven D. Levitt von der University of Chicago veröffentlichten eine Studie, die zeigen soll, dass die Abtreibungsfreigabe in den USA zum Rückgang der Kriminalität geführt hat. „Ziel unserer Untersuchung war es herauszufinden, warum in den 90er Jahren die Zahl von Gewaltverbrechen derart signifikant abgenommen hat“, erklärt Steven Levitt. „Viele Gründe werden dafür angeführt, als da sind: mehr Gefängnisse, bessere Polizeitaktik, bessere Konjunktur und das Schwinden von Crack; doch letztlich sind sich alle Fachleute einig: Damit allein sind die 40 Prozent Abnahme von Verbrechen seit 1991 in den USA nicht zu erklären.“ Die Arbeitshypothese der beiden Wissenschaftler war denkbar einfach: Die Legalisierung der Abtreibung führt zu weniger ungewollten Kindern, vor allem ungewollte Kinder aber sind Misshandlung und Vernachlässigung ausgesetzt, was sie zu potentiellen Verbrechern macht. Levitt und Donohue fanden, dass der Rückgang der Kriminalität in den USA 18 Jahre nach der höchstrichterlichen Entscheidung des Obersten Gerichts beginnt, mit der Frauen 1974 das Recht auf Abtreibung zugesichert wurde. In Bundesstaaten, in denen in den 70ern viel abgetrieben wurde, nimmt die Kriminalität stärker ab als in Staaten, in denen auch nach der Freigabe wenig abgetrieben wurde. Die Kriminalität sinkt besonders in der Altersgruppe unter 25 – just in jener Altersgruppe also, die von der Legalisierung der Abtreibung betroffen ist. Der Nutzen für die Gesellschaft beläuft sich auf 30 Mrd. Dollar. Die bisher nur als Entwurf gekennzeichnete Studie hat zu einem Sturm der Entrüstung geführt, sowohl unter Abtreibungsgegnern wie unter jenen, die für die Entscheidungsfreiheit der Frau eintreten. „Wenn man anderthalb Millionen Menschen pro Jahr umbringt“, sagt dazu Abtreibungsgegner Joseph Scheidler, Direktor der Pro-Life Action League, „so werden darunter auch ein paar Verbrecher sein, zusammen mit etlichen Philosophen, Künstlern und Musikern.“ Der Verweis der beiden Wissenschaftler darauf, dass besonders viele schwarze Frauen abtreiben und dass schwarze Heranwachsende besonders stark in Gefahr sind, kriminelle Laufbahnen einzuschlagen, hat ihnen den Vorwurf des Rassismus und der Eugenik eingebracht. „Was hat das mit Rasse zu tun“, rechtfertigt sich Steven Levitt, „der Zusammenhang zwischen krimineller Neigung und Unerwünschtheit ist besonders gründlich in skandinavischen Studien untersucht worden.“ Levitt verwahrt sich auch dagegen, dass ihre Studie sich für Abtreibung einsetzt: „Wer den Treibhauseffekt untersucht, tritt doch auch nicht für die Erwärmung der Erde ein.“ Gegen die Untersuchung der beiden Ökonomen sind auch ganz unideologische Einwände gemacht worden: „Wenn schwarze Jugendliche nach Auskunft des Justizministeriums acht mal wahrscheinlicher ein Verbrechen begehen werden als ihre weißen Altersgenossen und schwarze Frauen drei mal so häufig abtreiben wie weiße Frauen, müsste gerade unter schwarzen Jugendlichen die Kriminalitätsrate gesunken sein. Das aber ist nicht der Fall“, kritisiert Steve Sailer in einem Online-Diskussionsforum. „Zwischen 1984 und 1993 wuchs die Kriminalität unter schwarzen Jugendlichen um 5,1 Prozent.“ Auch müsste nach der Theorie der beiden die Jugendkriminalität eher und schneller gesunken sein als die der Erwachsenen. Während aber die Kriminalität der 35- bis 49-Jährigen seit 1988 kontinuierlich sinkt, gipfelte die Kriminalität der 14- bis17-Jährigen im Jahr 1993/94 – erst danach setzte der Rückgang des Verbrechens auch unter Jugendlichen ein. Jennifer hat inzwischen geheiratet und ein zweites Kind, möchte aber aus Oklahoma City und aufs Land ziehen, um ihre Kinder dem Einfluss der Großstadt mit ihrer hohen Kriminalität zu entziehen.

Peter Tautfest