Opfer wollen nicht mehr warten

Für zügige Verhandlungen akzeptieren Zwangsarbeiter sogar einen schwer beschuldigten Vermittler. Hat Lambsdorff Kriegsverbrechern geholfen?  ■    Von Robin Alexander

Berlin (taz) – Otto Graf Lambsdorff hat die ganze Woche zwischen der deutschen Industrie und deren Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit vermittelt. Heute trifft sich die Runde zum letzten Mal in Bonn. Die Gepräche werden in Washington fortgesetzt. Hoffnungen auf einen Durchbruch wurden enttäuscht: Die Verhandlungen stocken. Mehrmals hat Lambsdorff erklärt, die Entschädigungsforderungen aus den USA in Höhe von 20 Milliarden Dollar seien unrealistisch. Dem Wunsch der beteiligten Unternehmen nach vollständiger „Rechtssicherheit“ könne nicht entsprochen werden. Zu den Vorwürfen, er habe sich in den fünfziger Jahren für Kriegsverbrecher eingesetzt, schwieg Lambsdorff gestern.

Am Dienstag hatte Stephan Stracke, Historiker aus Wuppertal, Dokumente vorgelegt, die seiner Meinung nach beweisen, dass Lambsdorff sich in den fünfziger Jahren „zum Helfershelfer von Nazi-Kriegsverbrechern“ gemacht habe. Ein schwerer Vorwurf, doch selbst Kurt Goldstein, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, forderte nicht die Ablösung Lambsdorffs. Allein die PDS war sich sicher, der FDP-Ehrenvorsitzende Lambsdorff müsse von seinem Vermittleramt zurücktreten. Er sei „untragbar für die wenigen Überlebenden“, so die Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröder.

Dabei ist eine Wertung der von Stracke erhobenen Vorwürfe nicht einfach. Lambsdorff selbst nannte sie „oberflächlich recherchiert und durch Unwahrheiten gekennzeichnet“. Unbestritten ist, dass sich Teile der FDP in den frühen 50-er Jahren zum Anwalt ehemaliger Nazi- und Kriegsverbrecher gemacht haben. Der Landesverband NRW, dessen Grundsätze seit 1949 in einem „deutschen Programm“ verfasst waren, bemühte sich auf unterschiedlichen Ebenen um ein Ende der Entnazifizierung.

Die Partei unterhielt einen „Vorbereitenden Ausschuss zur Herbeiführung der Generalamnestie“ für NS-Täter unter dem Vorsitz von Ernst Achenbach. Dieser FDP-Politiker aus Essen organisierte auch außerparlamentarischen Protest. Sein „Komitee für Generalamnestie“ führte eine regelrechte Amnestiekampagne und sammelte Unterschriften. Achenbach brachte den Kriegsverbrecher Werner Best beim Stinnes-Konzern unter. Best war Reichskommissar im besetzten Dänemark gewesen und wurde 1948 von einem dänischen Gericht erst zum Tode, später zu Gefängnis verurteilt.

Auch Lambsdorff soll die Ziele Bests unterstützt haben. 1952 habe Lambsdorff in Aachen ein Grußwort auf einer Veranstaltung gesprochen, wo auch Best für eine Generalamnestie warb, so Stracke am Dienstag in Bonn. Aachen galt damals in der Tat als Hochburg des rechten Flügels der FDP. Lambsdorff war dort FDP-Bezirksverbandschef. Außerdem soll Lambsdorff zum Jahreswechsel 1952/53 den aus niederländischer Haft geflohenen Kriegsverbrecher Antoine Touseul getroffen haben.

Michel Friedman, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, mochte Lambsdorff gestern nicht verurteilen. Die Vorwürfe seien weder bewiesen noch untermauert. Lambsdorff habe sich in Fragen der Wiedergutmachung und Aussöhnung in der Vergangenheit gemeinsam mit Juden engagiert.

Auch Kurt Goldstein vom Auschwitz-Komitee wollte seine Rücktrittsforderung an Lambsdorff nicht aufrecht erhalten. Zwar bleibt er bei seiner Meinung, die Vorwürfe seien „unabweisbar“, aber: „Um zu einer Lösung zu kommen, würden wir auch den Teufel akzeptieren.“

Satan selbst wäre nach Bodo Hombach und Otto Graf Lambsdorff freilich schon der dritte Verhandlungsführer der Bundesregierung in kurzer Zeit. Und alle Skepsis gegenüber Lambsdorff wird von der Furcht überschattet, seine Ablösung würde die Verhandlungen nur weiter verzögern. Dies will niemand auf Seiten der Opfer.

Die sechzehn an den Verhandlungen beteiligten deutschen Großunternehmen haben hingegen viel Zeit. Die neueste Verzögerungstaktik: Entschädigungszahlungen sollen erst beginnen, wenn die genaue Zahl der Überlebenden feststeht. Die jedoch schrumpft täglich. Die ehemaligen Zwangsarbeiter sind heute im Schnitt 81 Jahre alt.