Gefangen im Zwiespalt

■  Gespräch mit Peter Faulstich, Professor an der Universität Hamburg und Sprecher der Kommission Erwachsenenbildung, über den Sinn und Unsinn von lebenslangem Lernen

taz: Lebenslanges Lernen ist längst zum geflügelten Wort geworden. Was bringt Weiterbildung überhaupt?

Peter Faulstich: Die Art und Weise, wie man sich auf sein Leben vorbereitet, hat sich geändert. Durch den Wandel auf dem Arbeitsmarkt und die ökonomischen Veränderungen entsteht ein enormer Anpassungsdruck. Lebenslanges Lernen ist durchaus zwiespältig zu sehen. Einerseits kann es für den Einzelnen eine Befreiung von Zwängen bedeuten. Früher war man mit einem Abschluss auf einen bestimmten Beruf und eine starre Laufbahn festgelegt. Jetzt hat man die Möglichkeit, den Berufsweg mehrfach zu ändern, wenn man das möchte – oft mit Hilfe von Weiterbildung. Andererseits sind Abschlüsse heute schnell entwertet. Um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können, ist Weiterbildung in vielen Jobs unumgänglich. Das gilt vor allem für die Berufe, die von technischen Umbrüchen geprägt sind. Da gibt es ein ständiges Hinterherhasten. In Banken zum Beispiel. Deswegen sprechen manche ja spöttisch vom lebenslänglichen Lernen.

Spielt Weiterbildung wirklich eine so große Rolle?

Ja, und ihre Bedeutung wird im Gegenteil immer noch unterschätzt. Dabei ist sie mit zirka 80 bis 100 Milliarden Mark finanziell der größte Bildungssektor. Das Geld kommt vom Staat, von den Unternehmen, von den Teilnehmern. Das ist fast doppelt so viel, wie für die Hochschulen ausgegeben wird, in die jedes Jahr 51 Milliarden Mark gehen. 48 Prozent der 19- bis 64-Jährigen machen einmal im Jahr eine Weiterbildung. Das ist eine ganze Menge. Dahinter verbergen sich allerdings auch Weiterbildungen, die nur einen halben Tag dauern. Kurzfristige Maßnahmen zur Anpassung an Neuerungen im Unternehmen zum Beispiel. Insofern muss man sagen: Trotz aller Reden über die Wichtigkeit von lebenslangem Lernen wird letztlich wenig gemacht. Schließlich meint lebensbegleitendes Lernen eine grundsätzliche Neuorientierung.

Um sich weiterzubilden, quetschen sich viele nach Feierabend hinter die Schulbank. Geht lebenslanges Lernen auf Kosten der Arbeitnehmer?

Es wundert mich selbst, wie hoch die Bereitschaft ist, nach der Arbeit weiterzulernen. Natürlich kann Weiterbildung Spaß machen. Beruf hat schließlich auch etwas mit Identitätsfindung zu tun. Und immerhin vierzig Prozent der Weiterbildungsmaßnahmen laufen innerhalb der Betriebe und sind in die Arbeitsprozesse integriert. Da gibt es wenig Probleme. Weiterbildung neben dem Job kann eine große Belastung sein.

Sind die Unternehmen überhaupt bereit, ihre Mitarbeiter für eine Weiterbildung freizustellen?

Die Bereitschaft der Unternehmen ist angesichts der wirtschaftlichen Situation deutlich zurückgegangen. Wofür Arbeitgeber Verständnis haben, hängt natürlich auch davon ab, welche Weiterbildung sie für notwendig halten und welche eher als Freizeitvergnügen gilt. Es gibt zwar einen Rechtsanspruch auf Bildungsurlaub. Aber nur zwei Prozent der Berechtigten nehmen ihn in Anspruch, immerhin 200.000 bis 300.000 pro Jahr. Viele Arbeitnehmer trauen sich auch selbst nicht mehr. Sie haben internalisiert, dass man sich das heute nicht leisten kann.

Wie können Leute, die eine Weiterbildung machen wollen, zwischen guten und schlechten Angeboten unterscheiden?

Es gibt zwei Ebenen. Erstens: Hat die Weiterbildung Spaß gemacht, hat man was dabei gelernt, das heißt, wie war die Qualität des Kurses? Zweitens: Hat sie was gebracht, kann man sie beruflich verwerten? Verschiedene Institute geben hilfreiche Leitfäden heraus, das Bundesinstitut für Berufsbildung zum Beispiel.

Woran krankt es in der Weiterbildung vor allem?

Es hakt an der Ausstattung. Die Qualifizierung des Personals müsste verbessert werden. Was die Verwertbarkeit der Weiterbildung angeht, fehlt es an längerfristigen, systematischen Bedarfsuntersuchungen. Da müssen die Unternehmen selbst mehr tun, durch eine längerfristige und bessere Personalentwicklung etwa.

Es gibt berufliche und allgemeine Weiterbildung. Was ist der Unterschied?

Berufliche Weiterbildung meint oft Weiterbildung zur Anpassung an die neuen Erfordernisse eines Arbeitsplatzes. Der Übergang zur allgemeinen Weiterbildung ist fließend. Politische Weiterbildung gewinnt an Bedeutung. Gewaltprävention bei Jugendlichen zum Beispiel. Die allgemeine Weiterbildung hat es immer schwergehabt. Man diffamiert sie mit Sprüchen über „Ikebana“ oder „Sprachen lernen auf Mallorca“, um ihre Notwendigkeit in Frage zu stellen. Dabei sind das absolute Randerscheinungen. In den drei Millionen Volkshochschulen etwa stehen sehr wichtige Themen im Vordergrund: Gesundheitsbildung zum Beispiel.

Wie informiert man sich am besten über Weiterbildungsangebote?

In der Kölner Datenbank „Kurs“ sind rund 30.000 Anbieter aufgeführt. Da blickt ein Einzelner natürlich nicht durch. In einigen Gegenden gibt es inzwischen gute Weiterbildungsberatungen, vor allem in Großstädten. Aber das System ist noch wenig ausgebaut.

Interview: Anja Dilk