Normalzeit
: Das Investitions-Vorranggesetz

■ Von Helmut Höge

Manchmal muss man einfach raus. Wenn ich nicht groß über das Ziel nachdenke, lande ich oft an einem der Seen hinter Werder, am Petzower Schloss beispielsweise, wo es Kaffee und Kuchen gibt und den von Lenné einst besungenen Schlosspark, wo ab Mai die Nachtigallen singen und ab Juli die Frösche quaken. Diesmal war ich schlecht drauf: Alles beleidigte mich: meine Aufträge, meine Nichtaufträge, die Schlagzeilen, die Werbung, die neuen Architekturen, die Radiomoderatoren und sogar die Musik, die sie spielten. Zu allem Überfluss saß dann am Nebentisch auf der Veranda auch noch ein schreckliches Ehepaar mit noch schrecklicheren Kindern. Ich wäre besser in meiner Wohnküche geblieben und hätte weiter gelesen oder was geschrieben. Was mach ich hier eigentlich? Wenn ich jetzt zu Hause wäre, würde ich aufstehen und erst mal einen Spaziergang in ein Café machen, aber ich bin ja schon draußen – in einem Café.

Ich wurde immer missmutiger und kam geradezu ins Staunen über die Unsinnigkeit meines Schicksals. Das Ehepaar schien im Showgeschäft tätig zu sein. Sie unterhielten sich über ihnen gut bekannte Prominente. Anekdoten. Merkwürdigerweise nur solche, die den Betreffenden als stinknormalen Menschen charakterisierten, das brachte sie ihnen wohl intim nahe. Jemand setzte sich an den Nebentisch und holte sofort sein Handy raus. Ich guckte ihn böse an. Den kenne ich doch: Ja, es ist W. Er schrieb eine Zeit lang für den Frankfurter Pflasterstrand, dann arbeitete er für den Rundfunk, bis er in Richtung Rhein verschwand. Als sein Telefongespräch beendet ist und er rüberblickt, erkennt er auch mich wieder. Wir tauschen ein paar Namen aus – und was aus ihnen geworden ist.

Er hatte eher die Politik- und ich die Kunstkarrieren „unserer ehemaligen Mitstreiter“ verfolgt. „Was machst du denn jetzt so?“ frage ich W. „Das wollte ich dich grad fragen“, antwortet er. „Ich arbeite zur Zeit an der Vorbereitung einer Messe über Geldbeschaffungsmaßnahmen mit“, sage ich. „An einer Messe? Du solltest dir lieber selber solche Maßnahmen ausdenken“, sagt er und schaut auf meinen verknitterten polnischen Anzug. „Ich habe damals, als ich nach Düsseldorf zog, die richtige Idee gehabt, und seit die Grünen in der Regierung sitzen, ist die goldrichtig.“ Er bestellt ein Bier. „Was für eine Idee?“, frage ich ihn. „Das ist aber nichts für eine Messe. Das muss unter uns bleiben, kannst du schweigen?“ Ich nicke tapfer.

Kurz gesagt hatte W., als er noch journalistisch unterwegs war, Kontakte zu Mitarbeitern in Ministerien aufgebaut. Es fing beim hessischen Fortministerium und ging dann bei den NRW-Ministerien weiter. Ganz unbedeutende Leute. Aber als immer mehr Grüne dort reinrutschten, kamen die Personalkarusselle ins Drehen. Gelegentlich erzählten ihm „seine Leute“, wer wieder mal wohin befördert worden war. Es interessierte W. aber nicht. Bis er eines Tages im Café des WDR in Köln jemanden traf, von dem zuvor gerade die Rede gewesen war. Als sie sich verabschiedeten, beglückwünschte W. ihn verschwörerisch lächelnd zu seiner neuen Stellung. Sein Gegenüber tat erstaunt, er wusste noch gar nichts von seinem Glück. W. erschrak. Er habe davon zufällig gehört, stotterte er.

Aber wenig später kam ihm schon die halbe Idee. Und als er dann auch noch mit immer mehr Bonner Ministerien zu tun bekam, ging er systematisch daran, sie auszuprobieren. Wenn er mal wieder erfahren hatte, dass eine Beförderung entschieden worden war, rief er sofort den oder die Betreffende an: „Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, dass meine Bemühungen von Erfolg gekrönt waren. Die entsprechenden Papiere sind bereits unterschrieben ...“

„Und was hast du davon?“, fragte ich ihn. „Na zum Beispiel, dass ich inzwischen sogar schon hier in Brandenburg – als Graue Eminzenz aus NRW – unterwegs bin. Man weiß meine Bemühungen also auch hier zu schätzen, obwohl oder weil ich gar nichts mehr publiziere. Und das zahlt sich aus, glaub mir.“ Ich warf meinerseits einen Blick auf seine Garderobe – und glaubte ihm.