Götterdämmerung im Reich von König Kohle

■ Die Bedeutung der Kohle schwindet weltweit. Nur 13 Länder, darunter Deutschland, setzen den schmutzigen Energieträger zu mehr als 50 Prozent für Strom und Heizung ein

Washington (taz) – In fünf Bezirken der US-Hauptstadt Washington sind besonders viele Menschen an Krebs erkrankt – die Stadtteile liegen in der Abluftfahne des größten Kohlekraftwerks der Region. Auch im waldreichen US-Bundesstaat Maine am Atlantik fiel die Luftqualität in diesem heißen Sommer sehr schlecht aus. Denn aus dem Westen weht die Abluft der Kraftwerke im Tal des Ohio heran. Das soll so bleiben: Eine Industriekoalition betreibt Lobbyarbeit, um die Anwendung der Gesetze zur Luftreinhaltung auf die alternden Kohlekraftwerke zu verhindern.

Trotzdem – oder gerade deshalb – geht nach einer aktuellen Untersuchung des Umweltforschungsinstitutes World Watch in Washington die Herrschaft von König Kohle weltweit ihrem Ende entgegen. Auf seinem Zenit stand der Energieträger 1910, als die Kohle 62 Prozent an der weltweiten Energieumwandlung ausmachte – heute schafft sie nur noch 21 Prozent. In alten Industrieländern wie Frankreich, Belgien, England, Russland und Japan ist der Anteil der Kohle durch Besteuerung und Subventionsabbau um die Hälfte gesunken. Doch 13 Länder halten mit einem besonders hohen Anteil der Kohleverfeuerung noch aus. In Ländern wie Südafrika, China, Polen, Australien, Kasachstan und Indien liegt der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung über 70 Prozent. Auch in Deutschland und den USA liegt er immer noch über 50 Prozent. „Kohle gilt gemeinhin als billige Energie, doch billig wird sie durch Subvention und durch Vernachlässigung ihrer externen Kosten“, sagt Seth Dunn, Autor der Studie, die in der Septemberausgabe des World Watch Magazins erscheint.

Die gesundheitlichen Risiken der Kohleverbrennung sind seit der Frühen Neuzeit bekannt. Die Londoner Stadtverwaltung verbot sie im Jahre 1306, was nicht verhinderte, dass Kohlensmog 2.200 Londoner im Jahre 1880 umbrachte und 4.000 Menschen 1952 dem berüchtigten Londoner Killernebel zum Opfer fielen.

Die Abgase der Kohle sind schädlicher als Zigarettenrauch, und auch die Kohleförderung fordert jedes Jahr Opfer. Von Chinas 2,5 Millionen Bergleuten sterben jährlich 2.500. Auch in den USA starben 1994 immerhin 1.500 Bergleute an der berüchtigten „schwarzen Lunge“. Die Maßnahmen zur Minderung der schädlichen Nebenwirkungen der Kohle verlagern das Problem jeweils nur. Hohe Schornsteine führten zum großräumigen Transport der Schadstoffe über weite Gebiete und verursachen damit den sauren Regen, der Mitteleuropas Wälder sowie die Seen Nordamerikas und Skandinaviens sterben ließ. Heute bedeckt im Winter eine Dunstglocke von der Größe der USA den Indischen Ozean. Im Sommer kehrt sie als saurer Regen in ihr Ursprungsland Indien zurück und mindert dort die Ernteerträge.

Der Versuch, die Kohle zu waschen und dadurch von Schwefel zu reinigen, führt – da gereinigte Kohle einen niedrigeren Brennwert hat – zu höherem Ausstoß des Klimagases CO2. Und die Suche nach schwefelärmerer Kohle hat ganze Regionen in Europa und Amerika zerstört. Rechnet man alle Folgekosten der Kohle in den Preis ein, ist sie teuer – trotz ihres gegenwärtig niedrigen Marktpreises von 32 Dollar pro Tonne.

Ihr realer Preis wird durch falsche Besteuerung und Subventionierung maskiert. Weltweit belaufen sich Subventionen für die Kohle auf etwa 60 Milliarden Dollar. Selbst im subventionsfeindlichen Amerika wird die schmutzige Kohle staatlich gefördert. 1977 befreite der Kongress die alten Kohlekraftwerke in Amerikas industriellem Herzland von den Auflagen des Luftreinhaltungsgesetzes. Diese Ausnahmegenehmigung beläuft sich auf eine Unterstützung der Kohleindustrie mit umgerechnet vier Pfennig pro Kilowattstunde Strom.

Würden die herrschenden gesetzlichen Standards durchgesetzt, liefe das auf eine Verdopplung des Kohlepreises hinaus. Deutschland bezuschusst die Kohlenindustrie 1998 mit 7,75 Milliarden Mark – umgerechnet etwa 140.000 Mark pro Bergarbeiter. Das Streichen dieser Subvention würde zu einer Erhöhung des Energiepreises um die Hälfte führen. Doch die neue rot-grüne Ökosteuer klammert die Kohle als Lieferant für Heizenergie aus.

Besser sieht die Welt aus, betrachtet man sie aus der Perspektive der chinesischen Hauptstadt Peking: China belegt schwefelhaltige Kohle mit einer Steuer, die den Übergang zu umweltfreundlicherer Energie fördern soll. „Mit dem Geld, das weltweit für Kohlesubvention ausgegeben wird, ließe sich die Umstellung der Energieumwandlung auf umweltfreundliche Erdgaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung leicht finanzieren“, rechnet Seth Dunn vor. „Das Ende der Kohle anzustreben mag zunächst phantastisch anmuten, zumal man es dabei mit mächtigen Interessen zu tun hat, doch vor einigen Jahren wurden auch bleifreies Benzin sowie das Zurückdrängen von Tabak als schier unmöglich angesehen.“ Peter Tautfest