Kreative Sachbeschädigung

Gute Maler brauchen gute Anwälte, sagen die Absoluten Beginner und spenden ihre Gage für Graffiti-Künstler  ■ Von Anna von Villiez

Es gibt Bilder, die sind zehntausende von Mark wert. Und es gibt andere, für die ebenso hohe Summen ausgegeben werden, um sie schnellstmöglichst aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn sich heute nachmittag bei der HipHop-Jam auf der Freilichtbühne im Stadtpark die Hamburger Prominenz der Szene ein Stelldichein gibt, ist das Anlass für die Wortführer des deutschen Sprechgesangs wieAbsolute Beginner und Dynamite Deluxe, ihre Gagen der finanziellen Unterstützung von Graffiti-Sprühern zukommen zu lassen. Denn die illegale Sprühkunstfertigkeit, die sich inzwischen seit eineinhalb Jahrzehnten auf Flächen des öffentlichen Raumes ungefragt zeigt, ist Ausdruck der gleichen Bewegung mit anderen Mitteln. Für die einen schlicht Schmierwerk, ist Graffiti doch zumindest in der Theorie ein Zeichen- und Kommunikationssystem, in dem die Einzelnen sich einen bunten Krieg um mehr Geltung und fame liefern. Als Waffe ist nur die Sprühdose erlaubt.

Während sich bei den musikalischen HipHopern mit dem Erklimmen der Charts die Geldbeutel merklich erholt haben dürften, flattern den Farbpiraten weiter Klagen und horrende Schadensersatzforderungen ins Haus. Die Leidenschaft der Sprüher, ihre Schriftzüge möglichst groß, möglichst bunt, möglichst gewitzt auf Züge, Wände, Schaltkästen zu plazieren, steht der Verfolgung durch Polizei und Bahn gegenüber. Für die Sprüher bleibt Graffiti die „kreativste Form der Sachbeschädigung“, wie es ein Sprüher formuliert.

Mit nur mäßigem Erfolg greifen Polizei und die Hamburger Hochbahn AG zu immer mehr und neuen Mitteln gegen die „Verunstaltung“, die riesige Geldsummen verschlingen: 200 Sicherheitsfachkräfte von Wachdiensten sind unter anderem auch für Graffiti-Prävention zuständig, ein neues Reinigungskonzept will eine sofortige Beseitigung aller neu entstehenden Graffitis bewerkstelligen, ein Wachdienst kontrolliert nachts die Abstellanlagen, unsichtbare Kameras in Bus und Bahn überwachen zur Zeit in einer Testphase zwei Wagen und zwei Busse (taz berichtete). Pressesprecher Joachim Häger: „Ich nenne das Schmierereien, die uns im Jahr 3 Millionen Mark kosten.“

Die Beweisführung um einem Sprüher die Tat anlasten zu können, ist so schwierig, dass sogar schon auf DNA-Analysen an den Haaren an einen Handschuh gegriffen worden ist. Die Täter mit der Sprühdose arbeiten zumeist maskiert und werden sowieso selten in flagranti ertappt, da sie zum Teil nur Sekunden oder Minuten für ihre pieces brauchen.

Polizei und Justiz stehen Kürzeln wie „Eva“ oder „Can2“ ratlos bei der Haftungsermittlung gegenüber. So hat der 48Jährige „OZ“, bekannt durch ständige Kollision mit der Ordnungsmacht und gerade wieder einmal erwischt, wahrscheinlich Sympathisanten unter den Aktiven, die sein Kürzel fleißig verbreiten.

Die gestifteten Konzertgagen vom heutigen Auftritt werden dem von Barbara Udowerella betreuten Verein Hamburger HIP HOP e.V. zukommen. Die 55jährige Sozialpädagogin setzt sich mit dem bundesweit einmaligen Pilotprojekt, dass inzwischen auch vom Ministerium für Jugend gefördert wird, für die Belange jugendlicher Sprüher in Hamburg ein und fungiert bundesweit als Ratgeberin für Anwälte und Sprayer bei juristischen Auseinandersetzungen.

Ziel des Vereins ist die Entkriminalisierung der Sprüher, das Schaffen von legalen Sprüh-Möglichkeiten, und das Bemühen, zivilrechtliche Forderungen gegen Minderjährige zu begrenzen. Denn die müssen mit fünfstelligen Schadensersatzforderungen rechnen. Hohe Anwaltshonorare kommen dazu.

Die Zahl derer, die mit „tags“ und „Graffitis“ die Stadt ver(un)zieren, ist von einem Dutzend am Anfang auf mindestens 100 gestiegen. Graffiti hat in Hamburg trotz der „Widrigkeiten“ eine eigene Kunstgeschichte geschrieben. Meister der Zunft wie Daim haben das unverwüstbare „Hier bin ich“ der Schriftzüge und character vom New Yorker Style weiterentwickelt und neu definiert. Ungefragt.