Politik bei den Grünen muss Spaß machen

Während in Berlin die älteren, etablierten Grünen über die Zukunft der Partei debattierten, machten sich vorwiegend junge Realo-Grüne in Leipzig daran, die Partei vom Muff 20 alternativer Jahre zu befreien    ■ Von Robin Alexander

Leipzig (taz) – „Das haben die doch absichtlich gemacht, oder, Mathias?“, fragt ein junger Mann im klein karierten Jackett. Die selbst ernannte zweite Generation der Grünen trifft sich an diesem Sonntag im Leipziger Jugendzentrum Wabe. Fünfzig Abgeordnete und Funktionäre, überwiegend unter 35, sind sauer, weil ihr „Leipziger Kongress“ nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt. Müssen 18 grüne Großkopferte auch ausgerechnet am selben Wochenende über dieselben Themen in Berlin streiten, über das Programm und das Profil der Grünen?

„Och, Absicht war die Termingleichheit bestimmt nicht“, entgegnet der angesprochene Mathias, Nachname: Wagner. Mit 25 Jahren gilt er unter den versammelten Youngstern schon als Experte für die Pläne der Parteioberen. Wagner ist persönlicher Referent von Rezzo Schlauch, dem Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Wagner ist so wichtig, dass ihn schon die Bertelsmann-Stiftung eingeladen hat und er nicht ohne Absprache zitiert werden möchte, wenn er beim Wein über Politik spricht.

Interessierte können nachlesen: Mit dem Text „Bündnis90/Die Grünen haben eine zweite Chance verdient“ mischte Wagner und sein Koautor Jens Kröcher im Juni die Partei auf. „Organisierte Verantwortungslosigkeit, Misstrauenskultur und Besserwisserei“ würden die „reformunwillige Partei“ prägen, analysierten die Autoren. In Leipzig wollen sie den „Muff von zwanzig alternativen Jahren“ auslüften.

Ganz so frisch bei den Grünen sind die im Jugendzentrum versammelten allerdings nicht. Jens Kröcher hat in 26 Lebens- und 6 Parteijahren schon in Stadträten, Kreistagen und Landesgeschäftstellen gewirkt. Was ihn und die anderen Kongressteilnehmer von den kritisierten Parteifreunden unterscheidet? Kröcher: „Wir wollen uns Erfolg erarbeiten.“

So wird nach einem Frühstück für 6 Mark 66 und einer Begrüßung durch Parteisprecherin Gunda Röstel brav über „Reformstau in Deutschland“ diskutiert. Röstel bestreitet, dass der von ihr vertretene Realo-Flügel auf „langfristige Ziele und Visionen“ verzichte. Eine solche Vision ist für Röstel das Null-Energie-Haus, das nur über einen „breiten gesellschaftlichen Dialog mit der Handwerkerschaft“ zu erreichen sei. Außer mit dem Haus möchten die jungen Grünen mit Generationengerechtigkeit, Familie und Nachhaltigkeit als so genannten Türöffnerthemen neue Wähler finden.

Die anschließende inhaltliche Debatte hat ein ganz eigenes Vokabular. Sparen heißt hier „nachhaltige Finanzpolitik“, Programmatik ist „Wettbewerb um die moderne Kraft“, Reformen ergeben sich aus gutem „Politikmanagement“. An der rot-grünen Bundesregierung haben die jungen Funktionäre der kleineren Regierungspartei nichts auszusetzen. Lediglich die Selbstdarstellung der grünen Minister, allen voran von Jürgen Trittins, sei zu „miesepetrig“. Politik muss Spaß machen, sind sich die Kongressteilnehmer einig.

Keinen Spaß machen ihnen hingegen die „überkommenen Strukturen“ ihrer Partei. Dass die Doppelspitze bei Führungsämtern weg muss und Kompromisse mit den Linken unnötig sind, ist hier unausgesprochener Konsens. In ihrem Papier vom Juni wollten Wagner und Kröcher gleich noch ein paar grüne Fußsoldaten mit entsorgen und einen Teil der Mitgliedschaft auswechseln.

In Sachsen haben die Grünen nicht einmal so viele Mitglieder wie die NPD. Da ist nicht viel auszuwechseln, merken da auch die die Stürmischsten. „Stalinistische Säuberungen“ wolle niemand, heißt deshalb die friedliche Parole in Leipzig. Aber nach verlorenen Landtagswahlen pflegen Richtungskämpfe ja blutiger zu werden, orakelt schon mal einer beim Apfelsaft.

Die zweite Generation ist jedenfalls auf alle Eventualitäten vorbereitet. Kröcher: „Ich mache Politik bei den Grünen, weil sie die flexibelste Partei sind.“