Es grünt nicht mehr bei Immigrün

Atti Özdemir, Vorsitzender von Immigrün, tritt unter Protest bei den Grünen aus. Er wirft ihnen vor, die Integrations- und Migrationspolitik machtpolitischem Kalkül geopfert zu haben  ■   Aus Köln Mark Terkessidis

Die Grünen haben sich von ihren integrationspolitischen Vorstellungen weitgehend verabschiedet. Bereits bei der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes zeigte sich: Was von den Grünen als „Jahrhundertreformwerk“ propagiert wurde, schnurrte auf die Größe eines halbgaren FDP-Vorschlags zusammen. Nun ist die Partei dabei, das Thema Integration vollständig fallenzulassen. Das meint zumindest Atti Özdemir, Vorsitzender der Grünen-nahen Migrantenvereinigung „Immigrün“ und Mitglied im Bundesparteirat der Grünen.

Aus Protest tritt der Saarbrükker Özdemir von seinen Ämtern zurück und aus beiden Organisationen aus. Schon in der letzten Woche hatte Özdemir für Aufruhr gesorgt, als er in Hinblick auf die Wahl im Saarland meinte, das Programm der saarländischen Grünen sei inhaltsleer und gehe nicht mehr über die Feststellung hinaus, dass im Parlament eine dritte Partei vonnöten sei.

Özdemir wirft den saarländischen Grünen vor, zur „Jobmaschinerie“ und einem „Sumpf“ verkommen zu sein mit „mafiösen Strukturen“. „Die Wahl der Grünen im Saarland kann ich nicht mehr guten Gewissens empfehlen“, so Özdemir.

Auf Bundesebene kritisiert Özdemir vor allem die merklich nachlassende Unterstützung für Immigrün. „Ich betrachte das als Zeichen für einen Ausstieg aus der Integrationspolitik.“ Noch zu Beginn des Jahres sah das Verhältnis von Immigrün und Partei recht gut aus. Immigrün, 1994 von Migranten gegründet, wurde auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Erfurt als Nebenorganisation der Grünen anerkannt. Perspektivisch sollte die Migrantenorganisation auch satzungsmäßige Rechte erhalten. Und die Delegierten hatten zwei von Immigrün vorgeschlagene Kampagnen gebilligt: eine antirassistische Aufklärungsaktion mit dem Titel „Integrieren statt Ausgrenzen“ und eine Informationskampagne zum Thema Staatsbürgerschaftsreform. Dabei ging es Immigrün darum, die Debatte über die „bürgerrechtliche Ausrichtung der Berliner Republik“ voranzubringen.

Mittlerweile, so Özdemir, habe der Bundesvorstand die Kampagnen jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben. Zudem sei die Zuständigkeit für die Erstellung eines grünen Integrationskonzeptes inzwischen vom Vorstand zur Fraktion gewandert. „Dort verliert sich das Konzept langsam zwischen den Büros“, kritisiert Özdemir.

Dies alles seien allerdings nur Bausteine eines grundlegenden Trends. Die Arbeit von Immigrün habe generell keinen Stellenwert mehr für die Grünen, moniert Özdemir. Beleg: Eine bereits zugesagte finanzielle Unterstützung für ein Immigrün-Büro in der Bundesgeschäftsstelle wurde mit der Begründung „Kein Geld“ zurückgezogen. Auch eine Beteiligung der Partei in Höhe von 5.000 Mark an einer Veranstaltung über die Partizipation von Migranten in den deutschen Parteien wurde ohne Begründung abgelehnt. Sie sollte anlässlich des fünfjährigen Bestehens von Immigrün im Oktober stattfinden.

Einen weiteren Beleg für einen erfolgten Paradigmenwechsel in der grünen Ausländer- und Integrationspolitik sieht Özdemir darin, dass Listenplätze für Migranten dem machtpolitischen Kalkül der Grünen zum Opfer fielen. Während früher Einwanderer ohne deutschen Pass bei Kommunal- und Landtagswahlen symbolisch auf vorderen Rängen plaziert wurden, sei die Partei heute von diesem Prinzip abgerückt.

In seiner Rücktrittserklärung schreibt Özdemir: „In der Partei verbreitet sich, nach der Art und Weise, wie man in der Staatsbürgerschaftsreform umfiel, die Ansicht, Integrationspolitik ist ein Randthema. Allein das Thema scheint einigen in der Partei schon lästig. Sie denken, mit der Reform und ein paar Alibiausländern sei Integration erledigt.“

Özdemir bewertet die momentane Orientierung der Grünen als „verkommene Politik“.