Mit Gewalt gegen die Unabhängigkeit

Die proindonesischen Milizen wollen das Referendum in Osttimor nachträglich sabotieren  ■   Von Jutta Lietsch

Jakarta (taz) – Einen Tag nach dem erstaunlich friedlichen Referendum über die Zukunft Osttimors wuchs gestern wieder die Angst: Proindonesische Milizen begannen in der Haupstadt Dili und in mehreren Orten der Region mit einer neuen Einschüchterungskampagne. Ihr Ziel sind nun verstärkt Mitarbeiter der UNO-Mission in Osttimor (Unamet), denen sie vorwerfen, einseitig die Verfechter der Unabhängigkeit zu unterstützen.

Im Bezirk Ermera, wo am Montag kurz nach der Schließung der Wahllokale ein Unamet-Mitarbeiter von Milizen erstochen wurde, kam es gestern zu einem neuen schweren Zwischenfall. Wütende Milizionäre blockierten die Straße vor dem Dorf Gleno und hielten einen Konvoi von 17 Wagen, in dem Wahlhelfer der Unamet und internationale Beobachter saßen, stundenlang fest. Erst nach längeren Verhandlungen konnten die 150 Insassen der Wagen nach Dili zurückkehren. Zwei lokale Unamet-Mitarbeiter wurden verletzt. Erste Berichte australischer Wahlbeobachter, wonach es drei Tote gegeben habe, konnten bis gestern abend nicht bestätigt werden.

Schon am frühen Morgen hatten auch in der Haupstadt Dili Mitglieder der Aitarak, der Dornenstab-Milizen, des schillernden Bandenchefs Eurico Guterres die Straßen unsicher gemacht. Sie errichteten Straßensperren. Guterres, der noch am Tag vor dem Referendum bei einem von der UNO organisierten „Versöhnungstreffen“ erklärt hatte, seine Leute würden die Waffen niederlegen und das Ergebnis der Abstimmung in jedem Fall akzeptieren, schlug nun wieder ganz andere Töne an: Seine Anhänger würden die Politiker und Repräsentanten der Unabhängigkeitsbewegung daran hindern, die Haupstadt zu verlassen, damit sie die Konsequenzen ihrer Aktionen trügen, kündigte er an.

Mitglieder seiner Bande drangen bis auf das Flughafengelände vor und versuchten dort, einigen Passagieren vor dem Abflug die Tickets aus der Hand zu reißen. Erst vor wenigen Tagen hatten die Behörden bekanntgegeben, dass der Flughafen in Dili vorerst unter dem Schutz der Armee stehe, da indonesische Angestellte aus Furcht vor der Gewalt geflohen seien.

Eine fast unwirklich erscheinende Zahl von 98,6 Prozent aller wahlberechtigten Osttimoresen hatten am Montag ihre Stimme abgegeben. „Eine schwere Niederlage für Einschüchterung und Gewalt“ nannte dies Unamet-Sprecher David Wimhurst gestern in Dili. Ausländische Regierungen und die UNO in New York priesen die indonesische Regierung in Jakarta und die Polizei, die diese erfolgreiche Abstimmung ermöglicht hatten.

Auch der indonesische Außenminister Ali Alatas lobte gestern den Ablauf des Referendums. „Es war friedlich, und deshalb hoffe ich, dass niemand behaupten wird, es sei nicht frei oder fair oder friedlich zugegangen, wenn die Ergebnisse verkündet werden“, sagte er. Damit widersprach er indirekt seinem Kabinettskollegen, Justizminister Muladi. Der hatte zuvor nach Berichten der Nachrichtenagentur Antara die Unamet beschuldigt, die Wähler zugunsten der Unabhängigkeit beeinflusst zu haben.

Wie tief der Graben auch zwischen Politikern beider Seiten in Osttimor ist, wurde gestern nachmittag wieder deutlich: Das geplante erste Treffen einer von der UNO organisierten „Versöhnungskommission“ scheiterte. In der Kommission sitzen neben fünf von der UNO benannten Persönlichkeiten jeweils zehn Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung und der proindonesischen Gruppen. Letztere zogen kurz nach dem Beginn der Sitzung aus dem Saal, nachdem sie der UNO Parteilichkeit und Wahlfälschung vorgeworfen hatten.

Die Atmosphäre auf dem Inselzipfel ist sehr aufgeladen. Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung errichten nachts in vielen Straßen Dilis Straßensperren, die sie mit Macheten, mit Nägeln gespickten Knüppeln und Äxten ausgestattet bewachen. Wen sie verdächtigen, Mitglied einer Miliz zu sein, der muss um sein Leben fürchten.

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