Latin Loser

Persiflage des eigenen Mythos: Zu seinem 75. Geburtstag widmet das Metropolis Marcello Mastroianni eine Werkschau  ■ David Kleingers

Ort der Handlung ist Rom. Am Trevi-Brunnen inszenieren ein Journalist, eine Diva und ein Kätzchen Filmgeschichte. Erst wird Marcello Mastroianni der Katze ein wenig Milch geben, danach zögernd Anita Ekberg in das Becken folgen. Dieses nächtliche Schauspiel ist nur einer der kinematographischen Fixpunkte in Federico Fillinis Das süße Leben (1960), und doch prägte es nachdrücklich das Bild vom ziellosen Hedonismus einer aus den Fugen geratenen Moderne.

Da Mastroianni mit seiner Darstellung des prototypischen night-clubbers vom Talent zum Filmstar aufstieg, kommt keine ihm gewidmete Retrospektive an diesen Film vorbei. Dementsprechend beginnt das Metropolis seine kleine Mastroianni-Werkschau fast zwangsläufig mit dem Film, der den 1996 verstorbenen Schauspieler zum polyglotten Protagonis-ten des europäischen Kinos machte. In über 120 Filmen wirkte er mit, aber so vielfältig das Repertoire seiner Rollen auch ist: Jede Verkörperung auf der Leinwand wird – zumindest in der Rückblende – eine Variation der Kunstfigur Marcello Mastroianni.

Dabei fing alles ganz harmlos an, mit Auftritten als jugendlicher Normal-Charmeur in Filmen wie Die Drei vom Spanischen Platz (1951) und Tage der Liebe (1954). Doch Viscontis Weiße Nächte (1957) gaben dem lebenslustigen Allrounder ein dramatisches Profil, das frei von jeglichem Manierismus, aber reich an vorher unbekannter Intensität war. Spätestens ab hier wird sein ökonomischer Einsatz der Blicke und Gesten entscheidend die Wahrnehmung des Charakterdarstellers Mastroianni prägen, während der joviale Temperamentsbolzen Marcello immer noch für ein gepflegtes Italo-Overacting zu haben ist. So bringt ihn Die Frau des Priesters (1970) nicht nur zum wiederholten Male mit Sophia Loren zusammen, sondern bezeugt Mastroiannis Fähigkeit, ohne künstlerische Hemmungen zu chargieren. Auch an Polanskis exaltierter Farce Was? (1973) interessieren primär seine völlig überzogenen Metamorphosen als im pimp style gewandeter Alex, dessen Liebesleben von Sydne Rome gehörig aufgemischt wird (Foto).

Dass Mastroianni den eigenen Latin-Lover-Mythos je nach Bedarf bestätigt oder persifliert, macht seine Leinwandpräsenz immun gegen das Berechenbare: Das Klischee ist die Tarnkappe für subtile Beobachtungen einer in den Grundmauern erschütterten Männlichkeit, weshalb Mastroiannis Machos zugleich immer Latin Loser sind. In Fellinis 8 1/2 ist sein Guido Anselmi nicht nur Regisseur mit Sinnkrise, sondern auch bourgeoises Schaf im potenten Wolfspelz. Aufgerieben zwischen Katholizismus, Marxismus und Cholesterinwerten kann erst die Imagination eines Lebens außerhalb der patriachalen Ordnung die Befreiung bringen.

In 8 1/2 zeigt Mastroianni, wie er mit einem Augenaufschlag um Jahre altert, um sich im nächsten Moment ebenso schnell zu verjüngen. Wenn er über den Rand seiner Sonnenbrille blinzelt oder den Nagel seines kleinen Fingers kaut, durchbricht die Figur für Sekunden ihre scheinbar undurchdringliche Lethargie. Seine Darstellung nur als Hilfsmittel zur Inthronisierung des autore Fellini zu begreifen, wird weder ihm noch dem Regisseur gerecht. Mastroianni ist für Fellini nicht das zu füllende Gefäß, das Jean-Pierre Léaud für Francois Truffaut war. Vielmehr emanzipiert er sich von Beginn an, und in allen gemeinsamen Filmen verleiht sein Schauspieler den überfrachteten Höhenflügen des Regisseurs ein Mindestmaß an Bodenhaftung.

So war Mastroianni nie das Ziehkind eines paternalistischen Autorenkinos, sondern stets leading man mit Spaß am Rollen- und Genre-wechsel. Ob bei Antonioni, Ferreri oder Scola – immer wurden ihre Filme auch seine Filme. Und selbst Tristesse-Großmeister Angelopoulos konnte in Der Bienenzüchter (1986) nicht völlig den Glanz aus den Knopfaugen treiben, die über fast sechs Kino-Jahrzehnte hinweg alert von der Leinwand blickten. Am 28. September wären die Ol'Brown Eys des europäischen Kinos 75 geworden.

Das süße Leben: Sa, 4., 19 Uhr + So, 5. + Do, 9. , jeweils 17 Uhr Die Frau des Priesters: Fr, 10. + Sa, 11. jeweils 17 Uhr + So, 12. , 19.30 Uhr 8 1/2: Fr, 10., 19 Uhr + Sa, 11., 21. 15 Uhr + So, 12. + Mo, 13. , jeweils 17 Uhr Was?: Mi, 15., 17 Uhr + Fr, 17., 19 Uhr + Mo, 20. September, 21.15 Uhr Fellinis Roma: Mi, 22. + Sa, 25., jeweils 17 Uhr + Mo, 27. , 19 Uhr Die Haut: Sa, 25., 19 Uhr + Mo, 27. September, 17 Uhr, alle Metropolis