Gegen Verwertbarkeit

■ Café Lotte und Haus veranstalten eine Reihe zum Thema Bioethik

Zehn Jahre ist es her, da ein geplanter und nicht zustande gekommener Auftritt des australischen Bioethikers Peter Singer in der Bundesrepublik als Katalysator für eine heftige Debatte über das Lebensrecht von Menschen mit Behinderten, über die Verwertbarkeit des menschlichen Körpers und Grenzen medizinischer Eingriffe funktionierte. Seitdem hat sich vieles verändert – vor allem hat die stetige Ökonomisierung des Krankenversorgungswesens den Gedanken an Rationierung, also das Vorenthalten von medizinisch sinnvollen Leistungen, etabliert und damit die Frage, an welcher Gruppe denn gespart werden kann.

Aber auch die Hemmschwellen gegenüber altem Denken sind gesunken, so dass der Begriff des „lebensunwerten Lebens“ auch in der Ethik-Debatte kaum mehr ungewöhnlich wirkt. Allerdings gibt es auch eine starke Opposition gegen die modernisierten Verwertungstrends, die bislang verhinderte, dass sich „Euthanasie“-Praxis und Forschung an Embryonen oder Experimente mit nicht-einwilligungsfähigen Behinderten als Normalfall durchsetzen konnten.

Angesichts des vehementen Drangs der Bioethik zur Praxis und großer Breschen, die beispielsweise im rechtlichen Bereich durch die Änderung der BGH-Rechtsprechung zu Sterbehilfe geschlagen worden sind, ist eine Intensivierung der gegenwärtigen Ansätze wichtig. Deswegen haben Christian Mürner und Udo Sierck, zwei Aktive der ersten Stunde, im und mit dem Café Lotte und Haus 3 eine Veranstaltungsreihe zum Thema konzipiert, die das Spektrum der neuen Entwicklungen ausleuchtet.

Dabei geht es auch um die politischen Rahmenbedingungen, die beispielsweise die Behindertenpolitik in Hamburg und der Bundesrepublik überhaupt prägen. Denn die Verweigerung der Selbstbestimmung in der Pflege und im privaten und politischen Alltag überhaupt, worüber Gerlef Gleiss von „Autonom Leben“ unter anderem reden wird, prägt die Lebensverhältnisse der Menschen erheblich – und liefert so den Bioethikern oftmals die Vorlage, um konstatieren zu können, wie „schrecklich“ es doch wäre mit einer Behinderung unselbständig leben zu müssen.

Oliver Tolmein

Weitere Highlights: Klaus-Peter Görlitzer zu „Geschäfte mit dem Erbgut“ (heute), von Rainer Hohlfeld: „Die politische Ökonomie der Biomedizin“ (16.9.), Ingrid Schneider: „Die Verwertung von Fötalgewebe durch die Forschung) 14.10. und Michael Bentfeld: „Sterbebegleitung und Neugeborenen-Medizin“ (11.11.). Die Vorträge beginnen jeweils um 20 Uhr im Café Lotte, Hospitalstrasse 107.