Knuddeltier und Phalluswahn

Sind Außenseiter der Gesellschaft die besseren Menschen? Die Brüder Benjamin und Dominik Reding aus Dortmund-Hörde haben ihren Darstellern Glatzen rasiert und versuchen sich in dem Film „Oi! Warning“ an jugendlichen Ambivalenzen  ■   Von Ulf Erdmann Ziegler

Sie sind beide tätowiert und gepierct. Aber den Körperschmuck wollen die Zwillingsbrüder Benjamin und Dominik Reding, 30, aus Dortmund-Hörde jetzt ablegen. Denn: „Potenzielle Geldgeber haben mit Piercing manchmal Probleme.“ Diese Mitteilung aus der Bunten haben sie in einem Reader abgeheftet, den sie im Namen der Schlammtaucher Filmproduktion dieser Zeitung zukommen lieben: „Sehr geehrte Kulturredaktion...“, mit einem Video von „Oi! Warning“. Die aufrechten Geldgeberwerber haben einen Film in Schwarzweiß gedreht, existenziell gewissermaßen, über einen Jungen, der sein Zuhause verlässt, sich einem gewalttätigen Freund anschließt und ein wenig zu spät erkennt, dass er ... ja, was glaubt ihr, homosexuell ist?

Ein Spielfilm über die Jugend, gedreht von zwei Brüdern, die Theaterstücke für Kinder inszeniert haben (Benjamin, „1969 born in Dortmund“) und Visuelle Kommunikation studiert (Dominik, „1969 born in Dortmund-Hörde“): Das ist ein Grund, geneigt zu sein. Aber das unerbittliche Auge der Kritik muss sich in diesem Fall fragen, warum eine Directors' Guild of America beim Out-Filmfest in Los Angeles den Redings den „Besonderen Preis Frischer Talente“ (oder so) verliehen hat. Den jungen Directors hat das einen solchen Knacks verpasst, dass sie in ihrer Pressemappe die Stuttgarter Zeitung, den Schweriner Express und den Tagesspiegel auf Englisch zitieren.

Es gibt ein paar feine Schnitte in diesem Film, die an der Nouvelle Vague geschult sind. Zum Beispiel wenn das Stillleben einiger Bierflaschen erscheint – nein, es ist leicht in Bewegung –, um in die Fahrt des Jungen zurückzuschneiden, der gleich in einer Brauerei auftauchen wird. Oder der Blick von oben auf den Jungen mit seinem Motorroller, wie er eine Pfütze durchfährt, und das aufspritzende Wasser wird für einen Augenblick – formatfüllend – zu einer Möse. Am Regiebemühen im Generellen ist also nicht zu zweifeln. Es gibt Szenen im Niemandsland, auf der Fernsehcouch und beim Skinkonzert, und manchmal denkt man, die Erzählung käme ins Lot: zum Beispiel, wenn Janosch sich vor dem Spiegel auszieht, sich im Kleiderschrank seines Vorbilds, Koma, bedient und in der neuen Aufmachung einen Skinbandsänger simuliert. Er wird dabei von Koma überrascht, die nächste Einstellung erscheint – ohne Dialog – konsequent: Janosch wird glatzrasiert, und die Kamera zeigt nur die Details, bis der Junge sein Konterfei sieht.

Dennoch ist die Geschichte auf der Logik eines ersten Storyboards stehen geblieben, auf dramatische Ereignisse hin geschrieben, aber ohne Fleisch, ohne Atem. Auf der einen Seite die Bildlichkeit des Theaters, schwere Zeichen, auf der anderen Seite die schnatternde Psychologie des Fernsehens. Die krassesten Verzeichnungen gehören den so genannten Autoritätspersonen, Eltern und Lehrer. Repression und Klassendünkel sind heutzutage weit besser getarnt, als die Filmautoren wissen wollen.

So wird tendenziell die Jugend besser, weil sie jung ist, von den Frauen abgesehen, die nichts anderes wollen als Nesteln und Kinderwerfen. Folglich bleiben die Konflikte zwischen den Männerkulturen das einzig leidenschaftliche Motiv. Dort Koma mit seinem Phalluswahn und auf der anderen Seite Zottel, der Punk im Wohnwagen, der mit seinem Knuddeltier spricht. Janosch verfällt erst dem einen, dann dem anderen. Das könnte nur dann interessant sein, wenn es beiderseits um Abgründe ginge; wir bleiben aber bei der Dörrie-Logik, nach der Schwule und Esoteriker (Ausländer auch, aber die kommen hier nicht vor) bessere Menschen seien und somit moralisch vorbildhaft, selbst wenn am Ende tot. Oder gerade dann.

Der Film der Redings bedient sich eines bewährten Schemas, der Initiation. Die Geschichte des Außenseiters bleibt dennoch den Schemen einer plumpen Sozialpsychologie unterworfen. Man sieht die Konflikte Janoschs nicht kommen und nicht gehen. Allein, wie gelegentlich das Schwäbische aus ihm herausbricht, um ihn als provinziell darzustellen: Sorry, aber das ist kein Schwäbisch, das ist Möchtegern! Es handelt sich um einen achtzehnjährigen Tagedieb aus Hamburg namens Sascha Backhaus, dessen Laienspiel für Momente etwas Rührendes hat. Aber „Oi! Warning“ schöpft nur sehr begrenzt aus dem Authentischen seiner Darsteller. Es ist kein richtiger Milieufilm und auch kein echtes Drama. Die Regie ist bei weitem zu starr, um ein interessantes Feld zu beschreiben: jugendliche Ambivalenzen mit ihren dunklen Seiten, Verleugnung und Angst.

„Oi! Warning“. Regie: Dominik und Benjamin Reding. Mit Sascha Backhaus, Simon Goerts u.a. Deutschland 1999, 90 Minuten. Heute, 22 Uhr, auf dem BerlinBeta-Filmfest im Filmtheater im Friedrichshain, Freitag, 22.30 Uhr, im Blow-Up.