Endlose Geschichte

Karl Heinz Roth über den Siegeszug der Geschichtsrevisionisten  ■ Von Thomas Atzert

Das Entsetzen darüber, dass die Barbarei noch möglich sei, lässt nur die Wahl, affirmativ oder ohnmächtig die Unterwerfung unter die bestehenden Verhältnisse von Herrschaft und Ausbeutung zu betreiben. Schließlich ist in jenem „noch“ ein Bild von Geschichte angesprochen, das sie bestenfalls als Fortschritt denken will. Die Vorstellung lädt zur Resignation, wo nicht zum Mitmachen ein. Etabliert und ausgestaltet wird sie nicht zuletzt von einer Historiographie, die in ihrer Herangehensweise wie in ihren Inhalten ihre Aufgabe als Legitimationswissenschaft annimmt.

Zwischenbemerkungen aus unterschiedlichen Anlässen zum Stand dieser Legitimationswissenschaft mag man die Aufsätze, Berichte und Polemiken von Karl Heinz Roth nennen, die jetzt unter dem Titel Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie zusammengestellt in der Reihe „konkret texte“ erschienen sind. Darin zeichnet der Hamburger Arzt und Historiker nach, wie in historischen Arbeiten über den Nationalsozialismus Relativierung und Bagatellisierung sich verallgemeinerten. Das Getöse des Historikerstreits von 1986 ist verstummt, dessen zentraler Einsatz, die Wiedererrichtung der „nationalen Frage“ im Zentrum des historischen (und politischen) Denkens, gleichwohl begründet. Daneben arbeitet Roth die publizistischen und institutionellen Wege heraus, auf denen die „Totalitarismustheorie“ als Grundannahme im Mainstream zeitgeschichtlicher Darstellungen sich etablieren konnte. Das manichäische Geschichtsbild aus der Zeit des Kalten Kriegs erleichterte vielen aus der Linken den ideologischen Anschluss an die bestehende freiheitlich-demokratische Grundordnung: Der „antitotalitäre Konsens“ war die Formel, um auf die Verteidigung von Staat, Nation, Kapitalismus und freiem Markt zu kommen.

Beide Entwicklungstendenzen nun, zeigt Roth, haben sich gegenseitig verschränkt und verstärkt. Hierin ist ihre politische Relevanz jenseits des gesellschaftlichen Nahbereichs von Geschichtsschreibung und –forschung zu erkennen: Historischer Revisionismus und Totalitarismusdoktrin wirken formierend in einem Mythos der Nationalgeschichtezusammen; sie bestärken im gleichen Maß die nach 1989 eingesetzte Machtstaatlichkeit mitsamt symbolischem Brimborium wie sie radikale Kritik entwerten und linke Politik lähmen.

Roth schreibt als Historiker, der seit Jahrzehnten zur Geschichte des Nationalsozialismus forscht, unter anderem als Mitbegründer der Hamburger Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik, später der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts und als Redaktionsmitglied der Zeitschrift 1999. Er beschreibt – nicht allein durch die Anordnung der Beiträge in dem Band vom Ergebnis her fragend – wie sich geschichtsrevisionistische Thesen von ihrer randständigen Existenz in der intellektuellen Rechten zur „wissenschaftlich begründeten Rehabilitationssystematik“ aufschwingen konnten.

Behaupten konnte sich der historische Revisionismus, so Roth, gerade dadurch, dass er an einem zentralen Punkt der herrschenden bürgerlichen Geschichtsschreibung ansetzte: an der Modernisierungstheorie und ihrer normativen Unterscheidung traditioneller und moderner Gesellschaften. Der entwickelte Kapitalismus gilt dabei als Maßstab letzterer. Die „affirmativ-modernisierungstheoretische Deutung des deutschen Faschismus“ datiert Roth in den 80er Jahren. Bis zum Beginn der 90er Jahre wurden immer weitere Momente der NS-Sozial- und Planungspolitik aus ihrem Zusammenhang herausgelöst und als Belege einer angeblichen Modernisierung reklamiert.

Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist die weitgehende Ausschaltung einer kritischen Sozialgeschichtsschreibung.Politisch verbindet sich der Revisionismus derweil, so Roth, mit der Legitimationsideologie der „selbstbewussten Nation“: ob durch das Sanktionieren der „Volksgemeinschaft“ als sozial egalitär und damit als „modern“, oder durch die Rehabilitierung einer Weltmachtpolitik, die ihre preussisch-deutschen Traditionen betont. Der faschistische Terror wird kurzerhand dem äußeren Umstand des „Weltbürgerkriegs“ zugeschrieben.

In den herrschenden historischen Erklärungsmustern hat die Analyse der faschistischen Massenvernichtungen keinen systematischen Ort. Roth kritisiert zugleich ihre Deutung als „singulärer Zivilisationsbruch, der sich aus der immanenten Logik totalitärer Herrschaft entwickelt habe“. Die These vom Zivilisationsbruch, die zunächst geeignet schien, dem Hegemonieanspruch des Geschichtsrevisionismus entgegenzutreten, verwandelte sich, eingezwängt ins Korsett einer erneuerten Totalitarismusdoktrin. Roth zeichnet die Entwicklung am Beginn der 90er Jahre nach, indem er einerseits die „Wiederbelebung der Totalitarismustheorie“ am Hamburger Institut für Sozialforschung und andererseits ihre institutionelle Verankerung in der Bundestags-Enquete zur DDR-Geschichte beschreibt.

Deutlich wird in Roths Darstellung, wie die Totalitarismusdoktrin in ihrer Tendenz zur Enthistorisierung und zum Aufweis überhistorischer Kontinuitäten von „Gewalt“ und „Herrschaft“ gerade diese beiden letzten Verhältnisse aus ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit heraussprengt. Ihre Legitimationsfunktion ist offensichtlich. Ihre institutionelle und ideologische Formierung ebenso. Die Möglichkeit, jene Doktrin in der Linken attraktiv zu machen, hängt auch mit bestimmten Grenzen und Aporien zusammen, die gängige Faschismustheorien, Kritiken des Kapitalismus und des Realsozialismus als funktionalistische Verkürzungen aufweisen. Sie zu erweitern bleibt eine Aufgabe. Doch wird die Auseinandersetzung mit dem historischen Revisionismus und der Totalitarismusdoktrin nicht in erster Linie auf theoretischem Feld ausgetragen. Das wäre schon wieder die Einladung zum Mitmachen.

Karl Heinz Roth: Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie. Hamburg: konkret 1999, 152 S., 19,80 Mark