Themenläden und andere Clubs: Am liebsten fünffach unterwegs
■ Wie es ist, schon im Voraus den Ablauf eines Abends zu kennen
Heute ist ein großer Tag. Kein Tag: ABEND. MEIN Abend. Buchpremiere von „Lügen“ bei Eggers & Landwehr am Lietzenseeufer. Letztes Jahr, als „Königinnen“ rauskam, mein erstes Buch, habe ich fast niemanden eingeladen und ALLE sind gekommen. Diesmal habe ich ALLE eingeladen und niemand wird kommen. Ich weiß es ganz genau.
Letztes Jahr habe ich das Schlimmste befürchtet, und es ist das Beste daraus geworden. Dieses Jahr ist es umgekehrt. Bestimmt. Letztes Jahr war ich aufgeregt, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt, dieses Mal bin ich aufgeregt, weil ich weiß, was auf mich zukommt.
Diesmal esse ich vorher eine Kleinigkeit, dann kommt Axel und holt uns ab. Um halb acht sind wir da. Um sieben sollte die Veranstaltung beginnen. Alle warten schon auf mich und haben sich Sorgen gemacht. Ich wollte nicht als Erste da sein und jeden, der hereinkommt, begrüßen. Jetzt muss ich jeden begrüßen, der schon da ist. Meine Hände sind kalt und feucht, ich reiche den Menschen meinen linken kleinen Finger, halte überflüssigerweise mein Buch in der einen Hand, in der anderen das Glas.
Da ich diesmal so viele Freunde eingeladen habe, fühle ich mich verantwortlich dafür, mit jedem zu reden, alle zu unterhalten und vor allem niemanden zu übersehen, was nicht einfach ist. Um acht soll ich lesen, danach ist das Schlimmste vorbei, dann kann ich entspannen und trinken, dann sind alle begrüßt, und der Abend kann beginnen. Vorher trinke ich nur Wasser und rauche nicht. Es wird zur Lesung gerufen, alle versammeln sich in einem Raum. Ich gehe noch schnell hinaus, ein Glas Wasser holen, werde aufgehalten, und als ich zurückkomme, stehen alle schon aufgereiht in Erwartung.
Es gibt keinen freien Sitzplatz für mich, ich quetsche mich auf eins der beiden roten Sofas, zwischen meine Mutter und noch eine Frau. Ehrlich gesagt und erstaunlicherweise fühle ich mich ganz wohl dabei, neben meiner Mutter zu sitzen. Es ist so normal, es beruhigt mich. Die Menschen scharren mit den Füßen, Martin Hielscher, mein Lektor, hält eine freundliche Einführungsrede.
Ich kann nicht zuhören, was und wie er über mich spricht und das Buch. Ich weiß nicht, wie ich gucken soll und wohin, ich schaue in die Runde und sehe meine Freunde, die mich anstrahlen und mir Mut machen, und ich lächle zurück. Auf einmal wird es unerträglich heiß, Martin Hielscher spricht immer noch, Hitze steigt in mir auf und überwältigt mich fast, ich denke, ich werde mitten im Lesen umfallen, meiner Mutter auf den Schoß sinken, dabei fühle ich mich ganz ruhig und beginne zu lesen, nur zehn Minuten, und es geht gut. Am Ende klatschen alle und strahlen mich noch mehr an als vorher, und ich bin froh, dass es vorbei ist und der Abend beginnen kann. Jetzt muss ich Bücher signieren und dann einer Frau vom Tagesspiegel unverschämte Fragen beantworten wie: Warum soll man Ihr Buch lesen? Inwieweit ist das ein Berlin-, Pop-, Frauenroman? Ich bin zu froh, zu milde, zu erleichtert, um ihr die Antworten zu geben, die sie verdient hätte. Sie hat nicht einmal eine Zigarette für mich, ihre hat sie „selbst geschnorrt“.
Dann endlich Trinken, Rauchen, mit den Freunden reden, Komplimente hören. Meine Hände werden langsam wieder warm und trocken. Tom sagt, dass plötzlich eine unerträgliche Hitze aufstieg, als ich zu lesen begann, Uta meint, sie hätte sich gewundert, dass ich meine Mutter nicht vom Sofa verjagt hätte, und auf einmal verabschiedet sich einer nach dem anderen. Ich bin enttäuscht, der Abend geht viel zu schnell zu Ende, ich rede die ganze Zeit und wäre am liebsten fünffach unterwegs.
Wir sind diesmal nicht die letzten Gäste. Wir fahren noch zu Hielscher und Malchow in die Paris Bar, da lassen wir den Abend ausklingen bei gebratener Blutwurst. Dann sind wir alle am Ende und verabschieden uns ausführlich. Auf der Fahrt nach Hause bin ich ein bisschen enttäuscht darüber, dass ich vorher schon genau wusste, wie es sein würde, und dass es dann genauso war: SCHÖN.
Elke Naters
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