Zwischen den Rillen
: Das Paradox des Plattensammlers

■ Queer Theory auf CD: Cover-Versionen von Terre Thaemlitz und Justus Köhncke

1979 erschien das Album „Replicas“ von Tubeway Army. Abgesehen vom leuchtfarbenen Preisaufkleber auf meinem Exemplar („Sonderpreis 18.50“) sieht man auf dem LP-Cover Gary Numan, den damaligen Sänger und Kopf der Band, in einem kargen Zimmer vor einem Fenster stehen, eine Glühbirne hängt von der Decke. Seine Haare sind hellblond gefärbt, sein Gesicht weiß getüncht, die Augen mit Kajal umrandet. Er trägt ein schwarzes Hemd, einen schwarzen Schlips und eine schwarze Hose.

Der leicht abgewetzte schwarze Ledergürtel scheint so etwas wie ein letzter Gruß von menschlichem Leben zu sein. Auch seine Fingernägel sind dunkel lackiert. Die Gestalt spiegelt sich im Fenster. Die Spiegelung ist überblendet mit einem Nachtgemälde, auf dem die Mondsichel leuchtet und der Eingang zu einem Park zu sehen ist, rotorange Neonbuchstaben sagen es.

Heute, zwanzig Jahre später, steht eine aktuelle Platte im Händlerregal, die genauso aussieht. Sie heißt „Replicas Rubato“ und ist von Terre Thaemlitz. Anstelle Numans sieht man jetzt den in Kalifornien lebenden Musiker; mit halblangen, hellblonden Haaren steht er in einem schwarzen Abendkleid unter der nackten Lichtquelle.

Thaemlitz hat auf seinem Album Versionen eingespielt von Numan-Stücken, die dieser zwischen 1978 und 1983 veröffentlicht hat. Das war eine dunkle Zeit, in der der Punk-Aufbruch versiegte, die von Roxy Music und Bowie in den Siebzigern angestoßenen Vorstöße in die Androgynität und damit in Gebiete jenseits von Rock zu glitzerndem Altherrenpop verkamen und Disco als Hort neuen Vergnügens immer noch die Sache einiger weniger Hipster war.

Inmitten dieser Miseren sah sich Numan mit seinem statischen Post-Glam-Rock auf der Suche, seine künstlerische Identität an Vorstellungen des „Anderen“ zu koppeln. Hier setzt das Interesse von Terre Thaemlitz ein. Er hat „Replicas Rubato“, wie alle seine Platten, mit einer ausführlichen Beschreibung seines Anliegens ausgestattet.

Dabei legt er den Schwerpunkt auf die wechselseitige Beziehung zwischen Numans artifiziellen Repräsentationen von sich als Alien („Me, I disconnect from you“) und als Wesen mit uneindeutigem Geschlecht („Stormtrooper in drag“). Sein künstlerisches Selbst wird praktisch zu einem Nicht-Ort, an dem sich persönliche und gesellschaftliche Fantasien („Blade Runner“ erscheint) der Abweichung vom „Normalen“ kreuzen können. Musikalisch drückt sich das allerdings in einem dazu unpassend scheinenden Stoizismus aus, in dem der stampfende 4/4-Takt und das trockene Gitarrenriff vorherrschen. Da kehrt sozusagen der männliche Körperpanzer als Sound zurück.

Wie es Thaemlitz vor Jahren schon am Beispiel Kraftwerk mit seinen „Roboter Rubato“ getan hat, legt er auch die in Gary Numans Musik liegenden Widersprüche offen, indem er ihre strikte Gefasstheit in der musikalischen Form des Rubato offen legt. Das heißt, dass er mit seinen Piano-Versionen der Originale deren Themen aufgreift, verändert, auflöst und mit ihnen eine Kompositionssoftware füttert.

Thaemlitz, der hier nicht zum ersten Mal Queer Theory auf CD praktiziert, geht es dabei nicht um das bloße Gegenüberstellen „männlicher“ und „weiblicher“ Ausdrucksweisen, sondern um die Überschneidungen, die den Resultaten eigen sind, die von solchen bipolaren Zuschreibungen betroffen werden.

Ein ganzes Album mit Coverversionen präsentiert auch der Kölner Justus Köhncke. Seine „Spiralen der Erinnerung“ sind nicht einem einzelnen Künstler gewidmet, sondern vielmehr, wie es in einer kurzen Bemerkung heißt, seinen besten Freunden und den Songwritern der acht von ihm interpretierten Titel.

„Let 'Em In“ von den Wings, „Old Man“ von Neil Young, „It's too late“ von Carole King, „I keep a close watch“ von John Cale – alle gehören zum Kanon des Großen Songs. Nichts anderes ist zu erwarten von jemandem, der seine DJ-Sets, so sagt es die Legende, stets mit dem Abspielen des kompletten „Abbey Road“-Albums beendet. In seinen Bearbeitungen übt sich Köhncke mit seinen Keyboards und seiner ungeübten Stimme in zurückhaltender Mimesis, missachtet aber selbstbewusst die Ornamentik der Originalarrangements und zieht dann schon mal 120 Bpm aus dem Ärmel.

Köhncke, der nach Hans Nieswandt und Eric D. Clarke als letztes Mitglied des sagenhaften House-Trios Whirlpool Productions eine Soloplatte veröffentlicht, folgt dem nur unter Plattenliebhabern möglichen Paradox, nämlich mit etwas Fremdem das ganz Eigene auszudrücken.

So funktioniert diese Platte – außen zeigt das Klappcover einen Sternenhimmel, innen Fotos, die die Ästhetik der 70er-Alben von B. J. Thomas oder James Taylor aufnehmen – wie eine Cassette mit Lieblingssongs, die man dem besten Freund aufnimmt: ein magischer Kanal zu sich selbst und ein Spiegel, in dem man sich immer am besten selbst gefällt.

Martin Pesch

Terre Thaemlitz: „Replicas Rubato“ (Mille Plateaux / Efa)

Justus Köhncke: „Spiralen der Erinnerung“ (iCi/Kompakt)