Roter Rock und schwarze Strümpfe

■  Mit dem Melodram „Deine besten Jahre“ beweist der Regisseur Dominik Graf einmal mehr, dass Kunst und Manierismus einander nicht ausschließen müssen (20.15 Uhr, Arte)

Was seine Mittel betrifft, mag Dominik Graf ein unmodischer Regisseur sein. Das tut dem reizgehetzten Zuschauer gut

Besonders deutlich lassen sie sich nicht unterscheiden – Kunst, Prätention und Manierismus. Was Fernsehen angeht, mag das auch an dem vielen überflüssigen Sendeschrott liegen, der das Vergnügen und Urteil des Zuschauers nach dem Mehrheitsfaktor normiert. Quantität schlägt nicht in Qualität um, sondern definiert Qualität.

Der Regisseur Dominik Graf genießt im Fernsehen eine Sonderstellung. Mal wurde ihm sein eigenartiger künstlerischer Ausdruck als Manierismus ausgelegt. Mal wurde er, für die Regie zum Tatort „Frau Bu lacht“ beispielsweise, als außerordentlicher Einzelgänger gepriesen. Anspruch kann sicher zu Manierismen führen, die Fehlannahme im Fall Graf lautet jedoch, dass Kunst und Manierismus einander ausschließen. Dass diese Annahme großer Quatsch ist, hat die Ästhetik schon vor langer Zeit anhand von zwei Paradefällen der Malerei (El Greco, George de la Tour) geklärt. Wer auf Ablehnung aus ist, kann Dominik Graf allenfalls vorhalten, dass er seine Mittel relativ kontinuierlich einsetzt, jedenfalls in den letzten vier oder fünf Jahren. Wer Zustimmung bevorzugt, bezeichnet diesen Wiedererkennungswert als „Stil“.

Grafs neueste Arbeit heißt „Deine besten Jahre“ und das konstante Mittel Farb-/Lichtregie. „Deine besten Jahre“ ist, um es kurz zu machen, ein melodramatisches Kammerspiel mit gebrochen-glücklichem Ausgang. Eine schöne Frau von 36 (Martina Gedeck) widmet sich im Elfenbeinturm ihrer Gutsituiertheit der Kunst. Sie hat einen halbwüchsigen Sohn, ihr Mann ist Fabrikant, doch sie weiß nicht einmal genau, wie man eine Rechnung bezahlt. Vera Kemps Idylle bietet viel Komfort und wenig Nähe oder gar Herzlichkeit. Von ihren Leuten wird sie auf sanfte Art wie eine unmündige Märchenfee behandelt; Schlaftabletten kommen einmal ins Bild. Als Ehemann (Tobias Moretti) und Sohn bei einem Unfall sterben und der Elfenbeinturm definitiv wackelt, wird die schleichende Depression manifest. Barsch sieht Vera sich im Leben unwillkommen geheißen. Diese Überforderung erweist sich bald als ihre Chance. Der Tod macht sie wach.

Die Geschichte ist so hanebüchen wie die aller Melodramen, doch um all die Haupt- und Nebenverstrickungen oder Haupt- und Nebenzufälle geht es bei Graf wie immer nur mittelbar. Gesprochen wird Gott sei Dank wenig (Buch: Markus Busch) – das bewahrt die Sache vor dem Banalen, und außerdem erzählt Dominik Graf indirekt, weniger figuren- als bild-(szenen)-immanent. Hier ein rotes Paar Schuhe, da ein silbernes Kleid zu Veras Geburtstag – kalte Töne passen zu kühler Aufmerksamkeit. Dann der Schwenk vom vornehmen Eishaus der Fabrikantenfamilie zum eisig-türkisblauen Pool. Graf verteilt Farben und Materialien wie Schläge. Die Kamera muss von einer Figur zur anderen unendlich lange Wege zurücklegen, auch wenn sie beieinanderstehen. Besser, prägnanter lässt sich die eher höfliche als freundliche Distanz in dieser Familie nicht charakterisieren.

Funktion zu versinnbildlichen ist auch Kunst und Dominik Graf darin ein Könner. Anfangs ist jedes Mitglied der Kemp-Familie nur bis zur Taille im Bild, als hätten hier niemand Geschlecht oder Passionen. Ein roter Rock und schwarze Strümpfe kontrastieren zum weiß gekachelten Bad. Das ist manieristisch, sehr wohl, doch es sieht eben nicht nur kalkuliert aus, sondern beschreibt das Milieu – kultiviert bis ins Grab. Zur Farb- und Lichtregie kommen die Kamerabewegungen – wie im lähmenden Schwindel, 360 Grad. Die Kamera (Benedict Neuenfels) raunt und zwinkert; Graf gibt ihr Augen, die sie von Szene zu Szene öffnet oder verschließt – als wäre sie selbst eine Figur dieses Films. Zusammenbruch – Dunkel senkt sich; der Blick des Betrachters hängt wie ein Habicht über der Figur. Tragik – die Bergkette wechselt von Grün zu Schwarz. Wenn Graf seine geliebten Panoramen verfärbt, meint er Seelenlandschaften. „Magische Landschaften“ nannte Grafs Hauptdarstellerin das. Was seine Mittel betrifft, mag Dominik Graf ein unmodischer Regisseur sein. Das tut dem reizgehetzten Zuschauer gut, hat aber auch seine Fallstricke. Nicht, dass Grafs sichtlich an Freud (einmal wird in den dunklen Märchenwald gelaufen, dass die Schwarte kracht), Tschechow und Arthur Schnitzler geschulter Symbolismus erst übersetzt werden will, ist die Herausforderung. Die Herausforderung für den pragmatischen Zuschauer kann leicht darin liegen, die elegant inszenierte Neurasthenie als Problem ernst zu nehmen. Dann wird er wird vor dem Fernseher vielleicht nicht zwei beste, aber zwei wirklich gute Stunden haben. Anke Westphal