Geiselnahme in Russlands Hinterhof

Islamistische Krieger halten im Süden Kirgistans Dorfbewohner und vier japanische Geologen gefangen. Sie fordern die Freilassung von im benachbarten Usbekistan inhaftierten Glaubensbrüdern  ■   Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Das Szenario erinnert an den Kaukasus: Eine Gruppe islamistischer Freischärler überfällt Dörfer und veschleppt die Einwohner. Die Regierung lässt sie aus der Luft bombardieren und behauptet, für die Geiseln bestehe keine Gefahr. Doch die Geschichte spielt mehr als 2.000 Kilometer vom Kaukasus entfernt im Süden der früheren Sowjetrepublik Kirgistan.

Vor fast zwei Wochen überfiel eine Gruppe Islamisten in der Nähe der Stadt Osch an der Grenze zu Tadschikistan fünf Dörfer und verschleppte etwa 120 Menschen, darunter vier japanische Geologen. Nach kirigisischen Angaben sind die Geiselnehmer – etwa 650 Mann – Usbeken, die im tadschikischen Bürgerkrieg auf Seiten der islamistischen Opposition kämpften. Weil die Bürgerkriegsparteien inzwischen einen Friedensvertrag unterzeichnet haben, sind sie arbeitslos geworden. Aus Tadschikistan heißt es, eigentlich hätten sie Kirgistan nur als Transitland benutzt zur Heimkehr nach Usbekistan. Dort hätten sie gegen Präsident Islam Karimow kämpfen wollen – ein berüchtigter Islamistenfresser. Gestern erklärten die Entführer, sie wollten die Geiseln gegen in Usbekistan einsitzende Glaubensbrüder austauschen.

Es ist unwahrscheinlich, dass Usbekistans autokratischer Präsident diesem Anliegen nachkommt. Einen Eindruck, welches Schicksal er den Entführern wünscht, demonstrierte am vergangenen Wochenende seine Luftwaffe. Ohne die kirigisische Regierung zu informieren, bombardierte sie vermutete Stellungen der Entführer. Bilanz: vier tote kirigisische Zivilisten.

Die Regierung Kirgistans protestierte, scheint aber selbst nicht zu wissen, wie sie der Eindringlinge Herr werden soll. Mal heißt es aus der Hauptstadt Bischkek, die eigenen Truppen würden das Problem in Bälde lösen, dann werden Hilferufe nach Moskau geschickt. Und schließlich fordert das Verteidigungsministerium Afghanistan-Veteranen auf, sich für den Einsatz bereitzuhalten. Für die Geiseln eine ungemütliche Perspektive. Um das Leben seiner Landsleute zu retten, reiste denn auch in der vergangenen Woche Japans stellvertretender Aussenminister nach Bischkek und forderte die Regierung zu besonnenem Verhalten auf, andernfalls werde Japan eine eigene Elitetruppe schicken.

Die Geiselnahme hätte kaum besser terminiert werden. Drei Tage danach trafen sich in Bischkek die Staatschefs der zentralasiatischen Republiken Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan und Tadschikistan mit den Präsidenten Russlands und Chinas. Hauptthemen waren die Grenzsicherung und der Kampf gegen Islamisten. Wie Russland im Kaukasus hatten die Versammelten schnell einen Stempel für die Gotteskrieger parat: Wahhabiten. Dabei dürften die zentralasiatischen Islamisten (ähnlich den kaukasischen) nur wenig über die streng orthodoxe Lehre wissen, die der Saudi Muhammad Ibn Abdal-Wahhab im 18. Jahrhundert entwarf und die heute in Saudi-Arabien Staatsreligion ist. Dafür transportiert die Bezeichnung die feindbildtaugliche Behauptung, dass die Islamisten vom saudischen König ferngesteuert seien.

Tatsächlich haben die Ölscheichs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erkleckliche Summen in die islamisch-südlichen Zerfallselemente des Reiches investiert. Sie finanzierten den Bau von Moscheen und schickten Prediger. Die machten häufig schlechte Erfahrungen: Die vermeintlichen Glaubensbrüder waren wenig religiös oder anders, als den Saudis lieb war.

In den zum Teil noch immer nomadischen Gesellschaften spielte Religion nie eine große Rolle, 70 Jahre kommunistischer Herrschaft taten das ihrige. Im Untergrund überlebten dafür Sufi-Orden, deren mystischer Islam den Saudis als Häresie gilt.

Einzig die Region um Osch – wo die Geiselnahme stattfand – gilt als besonders religiös. Einst zog hier Stalin die Grenzen zwischen Tadschikistan, Usbekistan und Kirgistan. Ethnien, Clans und Religionsgruppen wurden getrennt, um Bündnisse gegen die Moskauer Zentralgewalt zu verhindern. Heute ist hier vor allem der Einfluss Pakistans und Afghanistans zu spüren. In Osch tragen Frauen den Ganzkörperschleier der afghanischen Paschtunen, ganz so als hätten in der Stadt die Taliban das Sagen. Für einige Geiseln ein Vorteil: Ihre Entführer entließen sie, weil sie den Koran zitieren konnten.