Wo der Osten noch fröhlich verwelkt

Es gibt in Berlin nur noch wenige Orte, die unverfälscht DDR-Milieu verkörpern. Der „Burgfrieden“ zählt dazu. Legende wurde das Lokal im Prenzlauer Berg durch das Werk „Coming-out“, dem einzigen Schwulenfilm, den die Arbeiter-und-Bauern-Republik hervorgebracht hat und der dort gedreht wurde. Die Kneipe gleicht heute einem Museum, das auch im Westen den guten Ruf hat, echte Schwofs zu veranstalten Von Jan Feddersen

Watt soll dett hier sein? Mambo Paatie?“ ruft einer. Und fragt mit fröhlichem Spott weiter: „Weeß eena, watt Mambo is?“ Ein Sonnabend, Mitte August. Draußen ist es kühl, keine Hitze mehr wie vor drei Wochen. Damals hatte Wirt Ralph Christof ein Motto für die Party gesucht. Alle fahren gerade auf Mambo No. 5 ab? Na, dann auch im „Burgfrieden“, Wichertstraße, Prenzlauer Berg.

Also Mambo. Aus den, was die Soundqualität anbetrifft, hörbar über die Wende geretteten Lautsprechern plärrt die Musik einer CD, auf deren Hülle „Mambo Summer“ steht. Niemand der etwa siebzig Gäste, ausnahmslos Männer, hat Sinn für die karibischen Rhythmen. Zumal die Inneneinrichtung alles ist, nur nicht von tropischer Frische. Dafür hängen welke Sommergräser von Lampenschirmen herunter, auch Reste der Deko eines Sommerfestes; Girlanden vom Fasching finden sich auch noch, und zwar oberhalb des Tresens. Die Wände der Kneipe scheinen nach neuer Farbe zu schreien. Millionen von Zigaretten werden hier geraucht worden sein, vor allem solche mit DDR-Herkunft, „Karo“ oder „Cabinet“.

Jeder schwule Mann, der noch zu Zeiten der DDR sein Coming-out hatte, kennt dieses Lokal. Der „Burgfrieden“ war eines der wenigen einschlägigen Häuser, das vom proletarischen Regime geduldet wurde. Kurz vor dem Bau der Mauer machte es auf. Damals wurden die Homokaschemmen an der Friedrichstraße planiert. Am Prenzlauer Berg, absichtlich weitab westlicher Besucherströme, durfte sich eine neue Homoszene etablieren, zuerst der „Burgfrieden“.

Es sprach sich schnell herum, dass Wirtin Hilde nichts gegen Homosexuelle hatte, sie aber als Kunden akzeptierte. Sie führte bis zu ihrem Abschied ein strenges Regiment. Küsse zwischen Männern wurden nicht geduldet, leichte Berührungen immerhin toleriert. Andere Homokneipen gab es auch, wenn auch nicht so viele wie in Westberlin. Sie leiden heute unter Nichtbeachtung, heißen sie nun „Altberliner Bierstube“, das „Café Senefelder“ oder die „Schoppenstube“, kaum konkurrenzfähig gegenüber den vielen neuen Lokalen, die seit der Wende aufgemacht haben.

Das „Pick up“ wie das „Stahlrohr“ oder „Schall & Rauch“ – nur einige unter vielen Kneipen, die den Prenzelberg zum Dorado von schwulen Männern gemacht haben, Kneipen, die auch Wessis locken, als Alternative zum Motzstraßenviertel in Schöneberg. Doch nur der „Burgfrieden“ hat seinen realsozialistischen Charme bewahren können. Hinter dem Tresenraum ist eine Wand mit Plakaten aus DDR-Zeiten tapeziert, Weltjugendfestspiele 1973, Ein Kessel Buntes, Friedrichstadtpalast, Marlene Dietrich. Eine Zusammenstellung, die es wirklich verdienen würde, vor Renovierung geschützt und mit Acryl versiegelt zu werden: Zeichen einer Zeit, in der Schwule (und wenige Lesben) versucht haben, in einem Regime über die Runden zu kommen, das ihnen eine Art von Öffentlichkeit wie im Westen ja seit Anfang der siebziger Jahre nicht erlaubte.

Nach der Wende verwaiste der „Burgfrieden“ mehr und mehr; die schunkeligen Schlagerparties (deren Gäste ewig zu trauern schienen um die schon Anfang der achtziger Jahre in den Westen rübergemachte Veronika Fischer!) mit Nordhäuser, Goldkrone oder Blauem Würger waren traurige Veranstaltungen. Vorbei auch die Ära, als Kfz-Schlosser um rare Autobatterien, Elektriker um Kabel und Maurer um Hilfe in der Datsche angehauen wurden: Minderheiten mussten zusammenhalten.

Die Osthomos zogen es schließlich vor, den Westen zu erkunden, überdrüssig ihrer Osttradition, auch der geselligen. Wer da noch das Haus frequentierte, war der übrig gebliebene Schrott, hieß es, der habe wohl den Sprung in die Zukunft nicht geschafft. 1996 übernahm Ralph Christof den „Burgfrieden“. Der studierte Jurist, Stammgast des Hauses seit Mitte der siebziger Jahre, heute 44 Jahre, war der erste Schwule, der dem Laden vorsteht, ein knuffiger, freundlicher Mann. „Früher“, sagt er, „gab es draußen Schlangen von Leuten, die hineinwollten und nicht konnten, weil es zu voll war.“ Und es kamen ja wirklich alle, ob nun Schauspieler, Melker, Dreher, Historiker, Schlosser, Offiziere, auch Charlotte von Mahlsdorf. Regisseur Heiner Carow setzte der Kneipe mit dem Film „Coming-out“ ein Denkmal, uraufgeführt in Ostberlin just am Abend des Mauerfalls.

Inzwischen hat sich der „Burgfrieden“ wieder erholt. Schräg gegenüber hat der Fummelschuppen „Greif-Bar“ aufgemacht, ein Laden, der seinen Gästen Fluchten in Darkrooms für die eilige Befriedigung bereithält. Offenbar hat sich dieses Haus günstig auf das Traditionslokal ausgewirkt. Von dort kommen Gäste, die vom ewigen Gucken und Weggucken die Schnauze voll haben und ein wenig auf verschämteres, schüchterneres Anbaggern und Kennenlernen aus sind: Das scheint manchen doch erotischer.

Schließlich sind ja auch alle Nestflüchtigen wiedergekommen. „All die vertrauten Gesichter von früher“, sagt der Wirt, „die aber wissen, wo sie persönlich angesprochen werden.“ Christof weiß, was er zu sagen hat. Aber es scheint ja auch wahr: Die Gäste im „Burgfrieden“ sehen alle nicht wie Gewinner der Wende aus. Eher wie verschreckte Jungs, alt und älter geworden, die im „oberflächlichen Westen“ nicht zurechtkommen, wie Toralf sagt, Bauingenieur aus Rostock, 34 Jahre, einer der jüngeren an einem Montagabend, traditionell der Tag der Stammgäste. Spricht all diese Scheu vor dem Westen, diese Angst zu versagen im Spiel der sexuellen Differenzen, gegen sie?

Vielleicht ganz im Gegenteil. Der „Burgfrieden“ jedenfalls setzt voll auf Ostalgie, hat für den 7. Oktober (Staatsgründung der DDR) eine „Ostparty“ anberaumt (Bierpreis: ostalgische dreizehn Pfennig!) und hält weiter auf Eckkneipenrustikalität, designerisch sowieso. Dass manche Wessis, modische zumal, solche mit kurzen Haaren und Springerstiefeln, scheel angeguckt werden, mag irritieren. Hier will man womöglich unter sich sein, das ist im „Burgfrieden“ nicht anders als in anderen Bars. Aber vor allem dann, sonnabends beispielsweise, wenn zu viele nicht eingeborene Ossis, frisch in den nicht mehr abgewrackten Prenzelberg gezogen, die Kneipe bevölkern und forsch den Ton angeben: Dann wird der Originalossi spröde.

So wie letztens. Da schwofte man, wie in letzter Zeit sooft, dicht gedrängt unter einem der üblichen Mottos wie „Bauarbeiter“ oder „Mambo“. Einer versuchte es bei einem anderen vier Stunden lang mit Blicken, scheiterte aber, weil er fälschlich als Touri eingeschätzt wurde, der nur auf Sex aus ist. Am Ende kamen sie doch zusammen. Ein anderer, so gar nicht vertraut mit der umgangssprachlichen Dezenz des gelernten DDR-Bürgers, sprach nachts um vier plötzlich davon, jetzt zum „Reste ficken“ übergehen zu wollen. Die Ironie des Mannes wurde als zu wahr empfunden – und er aus dem „Burgfrieden“ geworfen, handgreiflich.

Jan Feddersen, 42, Mitglied der taz.mag-Brigade, hält die andauernde Existenz des „Burgfriedens“ für eine wichtige Errungenschaft der Wende, und zwar auf entschiedenem Weltniveau