„Bündnis 90 war nie gleichberechtigt“

■ Die Grünen sind allen Quoten und Mühen zum Trotz eine Westpartei geblieben, sagt der Politologe Jürgen Dittberner. Das grüne Zögern und Zweifeln bei der Wiedervereinigung hat fatale Folgen

Professor Jürgen Dittberner (59), ein aus Westberlin stammender Politologe an der Universität Potsdam, beschäftigt sich seit Jahren mit der Parteienentwicklung in Deutschland. Kürzlich erschien sein Buch „Neuer Staat mit alten Parteien?“.

taz: Warum sind die Bündnisgrünen im Osten so erfolglos?

Jürgen Dittberner: Das gesamte Erscheinungsbild der Grünen, ihre Geschichte, die wirklich bestimmenden Personen und auch die Programmatik der Partei stammen aus der alten Bundesrepublik. Dafür gibt es im Osten überhaupt kein Publikum.

Immerhin steht der Namensteil Bündnis 90 für eine Osttradition.

So lange die Macht der SED existierte, war die Bürgerrechtsbewegung interessant. Als sie aber ihr Ziel erreicht hatte, wurde sie zu einem historischen Phänomen. Zudem mussten die Bürgerrechtler, die bei den Bündnisgrünen gelandet sind, schnell begreifen, dass dort die Musik von den alten Grünen gemacht wird. Bündnis 90 und die Grünen waren nie gleichberechtigte Partner. Außerdem ist das Erbe nur zu einem Teil beanspruchbar – andere Bürgerrechtler wie beispielsweise Schorlemmer, Nooke oder Lengsfeld gingen in andere Parteien.

Haben die verbliebenen Bündnis-Leute Werte aus dem Osten in die neue grüne Partei eingebracht?

Jedenfalls nichts, was nach außen hin sichtbar wäre.

Eine Art westdeutsche Regionalpartei?

Zumindest sind die Grünen auf dem Weg dahin. Entscheidend ist, wie sie sich jetzt mit der Regierungsverantwortung entwickeln. Sehr, sehr vieles ihrer Programmatik hat die Partei über Bord geworfen. Zweireiher statt Turnschuhe – das schafft im Osten eine zusätzliche Verwirrung. Allerdings ist das ein Problem der Grünen allgemein: Ihr Wesen orientiert sich an bestimmten Themenkomplexen wie Atomausstieg, Umweltpolitik, Ausländerpolitik. Bei der Politik, die sie derzeit machen, müssen sie sehr aufpassen, dass ihnen diese Werte nicht ganz wegbrechen.

CSU, PDS und Grüne – was bedeuten drei Regionalparteien für die bundesdeutsche Politiklandschaft?

Es wird in allen möglichen Bereichen einen immer größeren Druck zu großen Koalitionen geben. Die Regionalparteien werden die Parteienlandschaft verkomplizieren.

Was haben die Grünen beim Versuch, eine gesamtdeutsche Partei zu werden, versäumt?

Für ihre Verankerung im Osten erweist sich das Zögern, die Wiedervereinigung anzuerkennen, heute als fatal. Die Grünen im Westen haben immer den Eindruck erweckt, dass sie diese nicht wollten. Sie sind der Entwicklung immer hinterhergelaufen. Das ist eine schwere Hypothek. Später hätten sie den ostdeutschen Landesverbänden eine stärkere Autonomie innerhalb der Gesamtpartei geben müssen – etwa durch eine zusätzliche Stimme, die auch mal gegen den Gesamttrend stimmt.

Sehen Sie Fehler in der Personalpolitik?

Haben die Grünen denn eine?

Anders gefragt: Hätte ein Fraktionschef Werner Schulz andere Perspektiven für die Partei eröffnet?

Wenn er ein wirklicher Fraktionsvorsitzender gewesen wäre, ja. Da aber das Schwergewicht der Grünen im Westen liegt, wäre – so wie die Machtverhältnisse in der Partei sind – ein Fraktionschef Schulz auch nur ein Aushängeschild gewesen. Ich glaube, so was kriegen die Ostdeutschen ziemlich schnell spitz.

Was müssten die Grünen unternehmen, um irgendwann im Osten wieder beim Wahlvolk akzeptiert zu werden?

Sie müssten zuerst einmal innehalten und ihre gesamte Programmatik angesichts dessen, was sie in der Bundespolitik tun, neu formulieren. Das ist speziell in der Umwelt- und Sicherheitspolitik notwendig. Sie haben im Osten eine Chance, wenn sie die Partei von unten her neu entstehen lassen – mit neuen Leuten und jüngeren Ideen.

Interview: Nick Reimer