Grüne auf dem Weg zur Regionalpartei

Wenn am Sonntag die Bündnisgrünen in Brandenburg den Einzug in den Landtag verpassen, wird der Osten „grünenfrei“ sein. Für die notwendige Erneuerung der Partei fehlt es an Geld und Köpfen  ■   Aus Dresden Nick Reimer

Wenigstens regnet es nicht. Entschlossen geht Friedrich Heilmann auf die Passanten zu. „Informationen zur Landtagswahl gefällig?“, fragt Brandenburgs bündnisgrüner Spitzenmann. Manche greifen im Vorbeigehen nach der Wahlkampfzeitung, andere winken ab, einer blafft: „Scheißhaufen, die Grünen!“ Stehen bleibt keiner.

Das südlich von Berlin gelegene Luckenwalde, mittags. Heilmann absolviert seinen vierzigsten Wahlkampftermin. Die Brandenburger leiten morgen den Show-down ein: Der Osten wird ab Monatsmitte grünenfrei. Umfragen sehen die Sonnenblumenpartei in Brandenburg bei zwei Prozent, in Sachsen und Thüringen bei drei. Nach dem Abtreten aus Sachsen-Anhalts Regierung und dem klaren Scheitern in Mecklenburg-Vorpommern vor einem Jahr folgte in diesem Juni der kommunale Einbruch. Am ärgsten traf es Thüringen. Hier, wo auch auf kommunaler Ebene die Fünf-Prozent-Hürde gilt, verloren die Grünen 87 Prozent ihrer Mandate. Ganze sieben blieben übrig, verteilt auf Jena und Weimar. „Wenn wir es jetzt nicht schaffen, wenigstens in ein Landesparlament reinzukommen, verschwindet im Osten die grüne Politik für Jahre“, prophezeit Thüringens Landessprecher Olaf Möller. Er hätte auch sagen können: Nur ein Wunder rettet uns.

Alles läuft auf das Entstehen einer neuen Regionalpartei hinaus: Was die PDS im Osten ist, werden die Grünen im Westen. Eine logische Entwicklung. Die Grünen und ihre Themen sind das Produkt einer hochentwickelten Industriegesellschaft. Der Osten kämpft noch immer mit den gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Modernität wird hier vielfach als Bedrohung von sozialer Sicherheit angesehen. Aber gerade diese Sicherheit ist hier für die meisten Menschen zentrale Forderung an die Politik.

„Wie soll sich jemand für Bürgerrechte, Umwelt- oder liberale Ausländerpolitik interessieren, wenn er ständig Angst um seinen Job haben muss“, analysiert Jens Dörschel, einer der vier Berufsgrünen in Brandenburg, die Wahlniederlage schon mal vor dem Urnengang. Grüne Themen träfen einfach nicht den Nerv der Ostdeutschen.

Und: Es fehlt an prominenten Köpfen. Matthias Platzeck wechselte zur SPD, Marianne Birtler nach Berlin, und dem ehemaligen grünen Bildungsminister Roland Resch waren Job und Familie wichtiger. „Der Bekanntheitsgrad spielt im Osten aber eine enorme Rolle“, sagt Dörschel. Immerhin liegt der von Spitzenkandidatin Inke Pinkert-Sältzer jetzt bei 9 Prozent.

Von einem solchen Wert kann Friedrich Heilmann nur träumen. In Luckenwalde jedenfalls kennt ihn niemand. „Immerhin“, sagt er, „muss ich mich nicht mehr bei jedem Journalisten vorstellen.“ Die Luckenwalder Turmuhr steht auf dreiviertel drei. Es scheint ein bisschen, als würden hier schon jetzt die Bürgersteige hochgeklappt. Wenigstens regnet es nicht.

„Als wir im Landtag waren, hatten wir 20 Berufspolitiker mit entsprechender Wirkung nach außen“, sagt der Anhaltiner Schatzmeister Norbert Doktor. Jetzt sind es noch zweieinhalb, und die befassen sich hauptsächlich mit dem Innenleben der Partei. Für den Brandenburger Jens Dörschel ist Landtagszugehörigkeit aber mehr als nur eine Frage von Stellen und Außenwirkung. „Wer auf Dauer von der Landtagsarbeit ausgeschlossen bleibt, wird kaum Chancen haben, seine Defizite in der Fachkenntnis, in der Rhetorik, im politischen Handwerkszeug abzubauen.“

„Geld ist gleichzusetzen mit Struktur“, sagt Hubertus Graß, Landesgeschäftsführer in Sachsen. Und genau daran fehlt es den mitgliedsschwachen Ostverbänden. Planmäßig lassen die Grünen in diesem Jahr ihren Solitopf Ost auslaufen: Jedes Westmitglied zahlte bislang monatlich 1,50 Mark in diese Kasse. 900.000 Mark konnten so jährlich über die Ostdeutschen Landesverbände ausgeschüttet werden. Zwar wurde der Verteilungsschlüssel zugunsten der kleinen Landesverbände verändert. Trotzdem bleibt ein Loch, müssen fast überall Stellen gestrichen werden. Der sächsische Haushalt wird beispielsweise von knapp einer Million auf 552.000 Mark zusammengestrichen. Von den fünf vollen, teilweise gut dotierten Stellen bleiben drei 30-Stunden-Jobs übrig.

Heilmann will die Partei „von unten neu bauen“. Für ihn sind die Grünen im Osten ein „mittelfristiges Projekt“. Wahlkämpfe seien immer Zeiten von „besonderer politischer Identität“. Nie müsste man sich so thematisch mit Dingen befassen – „wo man doch laufend Wahlprüfsteine für die Lokalpresse schreiben muss“. Und nie würden so effizient Kommunikationsstrukturen entwickelt. Kleine Brötchen will er backen, so wie in seinem Wohnort Erkner. Als er vor drei Jahren dahin zog, war er der einzige Grüne. Inzwischen gibt es vier eingeschriebene Mitglieder. „Wir müssen beharrlich backen. Nur so wird der Korb langsam voll.“ Diese Taktik allein wird den Grünen wohl kaum zu neuer Renaissance in Ostdeutschland verhelfen. „Der Durchschnitt unserer Mitglieder findet die Frage nach sozialer Sicherheit weitaus weniger wichtig als die Wähler“, sagt die sächsische Landesvorständlerin Pino Olbrich. Das Thema Sozialpolitik sei einfach nicht grün besetzt. Aber gerade hier könnte ein neues Wertegerüst der ostdeutschen Grünen entstehen. „Wir müssen debattieren, wie eine grün orientierte, eine nachhaltige soziale Sicherheit aussehen kann“, fordert Olbrich. Daraus würden ein eigenes Profil innerhalb der Partei und ein neues Politikangebot erwachsen. Und eine Erneuerung der Partei.

Luckenwalde, dreiviertel fünf. Jetzt ist auch Andreas Jannek, der bündisgrüne Direktkandidat, am Stand. Viel mehr los ist immer noch nicht. Aber Brötchen backen ist nun einmal mühsam.