Terror erschüttert Osttimor

■ Das Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums soll überraschend schon heute bekanntgegeben werden. UNO evakuiert ihre Mitarbeiter aus der Stadt Muliana. Journalisten und Wahlbeobachter fliehen aus Osttimor

Jakarta (taz) – Die Gewalt proindonesischer Milizen in der von Indonesien annektierten früheren portugiesischen Kolonie Osttimor ist gestern weiter eskaliert. Sie terrorisierten in mehreren Teilen der Region die Bevölkerung, brannten Häuser nieder, errichteten Straßensperren. Es herrsche „Anarchie“, beschrieb ein UN-Vertreter die Lage in der Stadt Muliana, aus der gestern alle UN-Mitarbeiter evakuiert wurden. Dort waren zuvor zwei UN-Mitarbeiter ermordet worden. Einer Menschenrechtsorganisation zufolge seien dort auch drei Zivilisten umgebracht worden. Andere Quellen sprachen von bis zu 20 Toten. Zehntausende flohen gestern in die Haupstadt Dili. Auch 70 Journalisten und zahlreiche Wahlbeobachter verließen Osttimor.

Gestern begann in Dili auch die offizielle Stimmauszählung des Referendums vom Montag. Schon heute soll das Ergebnis der Abstimmung verkündet werden, bei der die 800.000 Bewohner zwischen dem Verbleib bei Indonesien und der Unabhängigkeit entschieden. Das erklärte der indonesische Außenminister Ali Alatas gestern überraschend in Jakarta. Ursprünglich war das Resultat erst am Dienstag erwartet worden. Doch die Auszählung der 450.000 Stimmen sei schneller beendet als vorausgesehen: Die UNO-Mission in Osttimor (Unamet) wollte diese Ankündigung gestern weder bestätigen noch dementieren.

Nach den bewegenden Szenen am vergangenen Montag zu urteilen, als sich die Osttimoresen schon Stunden vor der Öffnung der UNO-Wahllokale drängten, hat sich wohl eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Wie teuer die Osttimoresen für die Trennung von Indonesien zahlen müssen, ist nun die Frage: In Dili fürchten viele, dass die Gewalt noch wachsen wird. Insgesamt sind in der letzten Woche vier osttimoresische Unamet-Mitarbeiter von den Milizen ermordet worden, sechs bleiben vermisst.

Nach der heftigen internationalen Kritik an der Gewalt in Osttimor kündigte Armeechef Wiranto gestern an, er habe zwei Bataillone (ca. 1.400 Soldaten) in die Region geschickt, um der Polizei zu helfen. Die UNO warf den Polizisten auch gestern vor, untätig zuzuschauen, wenn die proindonesischen Banden mit Macheten und Schusswaffen auf die Bevölkerung losgehen.

Außenminister Alatas schloss auch nicht mehr aus, dass seine Regierung eine internationale Friedenstruppe für Osttimor akzeptiert. Allerdings nicht sofort: Falls sich die Mehrheit für die Unabhängigkeit entschieden hat, muss noch Indonesiens höchstes politisches Gremium, die „Beratende Volksversammlung“ über die Freigabe der „27. Provinz“ entscheiden. Das wird frühestens im November geschehen. Erst danach, so Alatas, wäre eine UN-Truppe willkommen.

Der für Osttimor zuständige Militärkommandeur, Oberst Mohammad Noer Muis, kündigte gestern an, im Fall eines „Bürgerkrieges“ wolle die Armee bis zu 250.000 Menschen evakuieren. Das wäre knapp ein Drittel der gesamten Bevölkerung.

Jutta Lietsch

Kommentar Seite 12