Korruption, Kapital, K.O.

„Boxerleben – Mythos und Realität“ in den Zeise Kinos: Vier Runden für und gegen das System des Faustkämpfers  ■ Von Jan Distelmeyer

Warm up: Vielleicht brauchte es einen Film wie When We Were Kings, um uns wieder daran zu erinnern, dass Boxen auf mehreren Ebenen eine Menge mit Politik zu tun hat.

Es gab eine Zeit, da existierten im amerikanischen Film nur zwei Möglichkeiten für einen mittellosen jungen Mann, den Aufstieg in die oberen Etagen der Besitzverhältnisse zu schaffen: Gangster werden oder Boxer. Dabei lag es in der Natur der Sache, oder besser: des Sys-tems, dass die Demarkationslinie zwischen beiden Berufsgruppen oft kaum zu erkennen war. In den 30er und 40er Jahren entwickelten sich die Dramen über den Aufstieg und Fall des einsamen Faustkämpfers zu einer Art eigenem Genre. Filme wie Michael Curtiz' Kid Galahad (1937), King Vidors The Champ (1931) oder Mark Robsons Champion (1949) illuminierten dieses Bild des einfachen und weißen Mannes im Widerstreit sexueller Verführung, emotionaler Bindung und vor allem der Korruption als Bild kapitalistischer Klassenherrschaft. Dieser Ausgangspunkt des Boxers im US-Kino war damit eine mit Mythen der Männlichkeit aufgeladene, individualisierte Klassenkampf- und Selbstfindungsgeschichte, die sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte in verschiedene Richtungen weiterentwickeln sollte. Die Geschichte eines Kampfes also, der gleichsam an drei Fronten stattfindet: gegen den Ring-Kontraheneten, gegen sich selbst und gegen das System, aus dem der Boxer entstammt und das ihn zugleich fundamental bedroht.

Runde 1: Robert Rossens Body and Soul (1947) erzählt im Spannungsfeld von Film Noir, Gangsterfilm und Boxer-Drama von dem Amateurchampion Charlie Davis (John Garfield), der als Profiboxer in den Klauen schmieriger Geschäftemacher (William Conrad und Lloyd Goff) und zwischen der guten und bösen Frau (Lilli Palmer und Hazel Brooks) sich selbst zu verkaufen beginnt. Mit seiner innovativen Kameraführung thematisiert Body and Soul dabei offensiver als andere Genre-Beispiele den Kampf um soziale Hierarchien: Direkt wird der Boxchampion hier als „Geldmaschine“ diskutiert, dem „wie eine Goldmine“ ausgebeutet innerhalb seines eigenen Systems keine Chance zur Selbstbestimmung bleibt.

Runde 2: Den Übergang vom klassischen Boxer-Drama zur Sozialkritik-Ästhetik der 70er markierte John Avildsens Rocky 1 (1976) – die phänotypische Initialzündung für den Superstar Sylvester Stallone: Weil der Champion Apollo Creed (Carl Waethers) Publicity braucht, wird der Hinterhof-Boxer Rocky Balboa aus Philadelphia als Gegner für einen Titelkampf ausgesucht. Der amerikanische Traum als simpler PR-Gag eines schwarzen Weltmeisters und die Slums von Philadelphia, in denen die neue „weiße Hoffnung“ tumb aber ehrlich schlummert, sind die vielsagenden Eckpfeiler dieser Geschichte, die wie eine rechte Grade gegen die vorangegangenen Blaxploitation-Filme schon alle Grundzüge der späteren Rocky-Filme in sich trägt. Auch wenn Rocky diesmal den Kampf nicht gewinnen kann, geht er als Sieger über den Schmerz und inneren Schweinehund aus ihm hervor. Von da ist es nur ein Schritt zum weißen Weltmeister, der dem missbrauchten american dream neues, „weißes“ Leben einhaucht.

Runde 3: Vier Jahre später dekonstruierte Martin Scorseses Raging Bull auf wundervolle Art die Basis, die Rockys Erfolg ausgemacht hatte. Scorseses schwarzweiße Verfilmung der Memoiren von Jake LaMotta, der ebenso das Vorbild für Stallones „Italian Stallion“ gewesen war, rückt die männliche Identität seines Protagonisten (Robert DeNiro) und die darauf gründenden Strukturen von „Familie“ in das Zentrum eines Blicks, der mit unbarmherzig-liebevoller Genauigkeit das Scheitern eines Boxers verfolgt. Innerhalb dieser auch ästhetischen Neudefinition des Boxkampfs zugleich vom Kino selbst zu reden, gehört zu den Stärken, die Raging Bull zum vielleicht besten Boxer-Film überhaupt machen.

Runde 4: Leon Gasts Dokumentation When We Were Kings (1996) schließlich handelt von der Inszenierung eines Ereignisses; von den Mechanismen und Akteuren, die den Kampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali 1974 als „Rumble in the Jungle“ zur Legende haben werden lassen. Es geht um Ali als politisches, selbstbewußtes und charimatisches Symbol des Widerstands („No Vietcong had called me nigger!") gegenüber einem klassischen „Uncle Tom“-Typus schwarzer Männlichkeit, den Ali Foreman aufzudrängen suchte, um die politische Situation Zaires unter dem Potentaten Mobutu, die komplexe Rolle des Veranstalters Don King, um Boxtechniken und die unterstützenden Musiker um James Brown und Miriam Makeba, die Gasts Film seinen großartigen Rhythmus verleihen. Auf seine Weise hat When We Were Kings damit der Inszenierung des Boxers im Kino eine neue Facette hinzugefügt: Nicht zuletzt, weil er sich dem Mythos dieses Kampfes und seines Helden auf eine Weise nähert, die seinen Zauber jederzeit spüren lässt und zugleich seine Funktionsweise offenlegt.

Boxerleben: Mythos und Realität, Zeise Kinos, When We Were Kings, 6./7.9., Rocky 1, 12.-14.9., Body and Soul, 19.-21.9., Raging Bull – Wie ein wilder Stier, 26./27.9., Vorfilm immer: „Mildenberger gegen Bonavena“, jeweils 22.45 Uhr