: Seefahrt schafft Not
In der kommenden Woche wird in Hamburg die neue „MS Europa“ getauft. Gewerkschaften protestieren: Luxus für die Passagiere, Hungerlohn für die Besatzung ■ Von Elke Spanner
Es sei das Luxusschiff der Zukunft, schwärmt Hapag-Lloyd-Sprecherin Antje Borstel. Fast alle Kabinen hätten einen eigenen Balkon, mit fünf Qualitätssternen versehen starte die neue „Europa“ noch diesen Monat zu ihrer Premierenfahrt. Am Mittwoch kommender Woche wird das Schiff im Hamburger Hafen getauft.
Der Luxus bleibt allein den zahlungskräftigen Passagieren vorbehalten. Während sich an Deck Millionäre an den Poolen sonnen und nachts in ihren Suiten betten, wird die Besatzung auf Sozialhilfeniveau bezahlt und in Kojen unterhalb der Wasserlinie untergebracht. Das schwimmende „Grand Hotel“, so die Eigenwerbung, sticht unter der Flagge der Bahamas in See. Die Arbeitsverträge der Besatzung werden nicht von Hapag-Lloyd selbst, sondern von einer Firma auf Zypern geschlossen. Die deutschen Gesetze sind damit ausgeschaltet. Die Gewerkschaften ÖTV und DAG protestieren.
Im April vorigen Jahres hat Hapag-Lloyd die alte „MS Europa“ an die Firma „Star Cruises“ nach Malaysia verkauft. Obwohl bereits der Neubau eines weiteren Luxusschiffes in Auftrag gegeben war, kündigte Hapag-Lloyd der gesamten Besatzung. Der Seebetrieb werde eingestellt, hieß es, Hapag-Lloyd wolle künftig nur noch als Reiseveranstalter Kreuzfahrten anbieten. Parallel schickte das Unternehmen die zypriotische Firma „Columbia Ship Management (CSM) auf die Suche nach Seeleuten für die neue „Europa“.
Unter deutschen Reedern gehört es mittlerweile zum guten Ton, durch Trickserei die Maßnahmen zum Schutz der Seeleute auszuhebeln: Die Tarife, indem die Arbeitsverträge durch eine Firma abgeschlossen werden, die ihren Sitz im Ausland hat; die übrigen Gesetze, indem das Schiff ausgeflaggt wird. Umgangen werden etwa das Grundgesetz, die Schiffsbesetzungsverordnung, der Mutterschutz, das Arbeitszeitgesetz, die Verordnung über Trinkwasser oder die Unterbringung von Besat-zungsmitgliedern – die Aufzählung läßt sich fortsetzen.
Notgedrungen hat ein Teil der alten Besatzung auf der neuen „Europa“ angeheuert – zu neuen Bedingungen. „Zwischen den damaligen und den jetzigen Arbeitsverträgen liegen Welten“, berichtet Siegfried Cura, Seebetriebsrat des alten Kreuzfahrtschiffes. Der Schiffsmechaniker ist über 14 Jahre auf der alten „Europa“ mitgereist. Er weiß, dass auf dem neuen Luxusdampfer ein Steward „auf Sozialhilfeniveau“ entlohnt wird. Gibt es Ärger, müssen die Besatzungsmitglieder ihr Recht vor einem zypriotischen Arbeitsgericht einklagen, Sitz in Limassol.
Auch die Billig-Flagge der Bahamas wird von den Seeleuten teuer bezahlt. Indem das deutsche Schiff ausgeflaggt ist, wälzt das Milliardenunternehmen Hapag-Lloyd den Versicherungsschutz auf die Besatzung ab. Auf einem deutschen Schiff wären die Seeleute unfallversichert, hätten eine Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung – finanziert mindestens zur Hälfte durch den Arbeitgeber. Unter Billig-Flagge können sie sich nur freiwillig versichern und zahlen dann aus eigener Tasche. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht einmal freiwillig. „Bei den deutschen Gesetzen, das wissen Sie ja, fallen hohe Lohnnebenkosten an“, sagt dazu Borstel.
Die Billig-Flagge ermöglicht es Hapag-Lloyd zudem, teure Sicherheitsstandards zu ignorieren. Nach deutschem Recht, erklärt Seebetriebsrat Cura, darf auf einem Schiff nur nicht-brennbares Material eingebaut werden. Nach internationalen Bestimmungen reiche es aus, eine Sprinkleranlage an Bord zu installieren. Würde die „Europa“ unter hiesiger Flagge laufen, müßten rund 30 Besatzungsmitglieder einen Rettungsboot- und einen Feuerschutzschein bei sich führen. Unter Bahamas-Flagge ist das nicht erforderlich. Zudem entfällt die Kontrolle der Seeberufsgenossenschaft.
Dass viele Reedereien reine Briefkastenfirmen im Ausland unterhalten, ist ein offenes Geheimnis. So schrieb das Bundesministerium für Verkehr im Juli vorigen Jahres im Rahmen der Petition eines Seemannes unverhohlen an den Bundestag: „Die Genehmigung zum Führen der Flagge der Republik Zypern wurde beantragt, weil für das Schiff unter deutscher Flagge keine Wirtschatlichkeit gegeben war.“ Auch Hapag-Lloyd behauptet, Eigentümer sei ein Unternehmen auf den Bahamas. Wohl firmiert dort offiziell tatsächlich eine Firma „Hapag-Lloyd Bahamas Ltd“. Die indes ist nicht einmal im dortigen Telefonbuch eingetragen. Und die Arbeitsverträge tragen zwar den Stempel der zypriotischen CSM – „heutzutage wird eben vieles outgesourct“, so Antje Borstel – die jedoch wird von einem Hamburger Geschäftsmann betrieben. Der unterhält auch hier noch ein Büro. In der Gaststättenfachzeitschrift „Rolling Pin“ vom 18. August, in der per Inserat Stewards für die „Europa“ gesucht werden, werden Interessierte aufgefordert, ihre Bewerbung an eine Hamburger Adresse zu schicken.
Von den damals rund 300 Seeleuten haben 60 gegen ihre Kündigung geklagt. 25 haben bereits vor dem Hamburger Arbeitsgericht gewonnen, sie müssen von Hapag-Lloyd zu den alten Bedingungen weiterbeschäftigt werden. Das Unternehmen ist in die Berufung gegangen. Rechtsanwalt Wolfgang Steen, der etliche Seeleute vertritt, prophezeit: „Das wird bis zum Bundesarbeitsgericht gehen.“
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